12 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 27.—30.)
Westpreußen bestehe und dort günstige Erfolge zu Tage gefördert habe. Die zahl-
reichen polnischen Arbeiter, welche im ganzen Staate zerstreut leben und von
denen 33.000 allein sich in Berlin befinden, könnten bisher weder deutsch lesen,
noch schreiben. Der Unterricht in beiden Sprachen neben einander schädige
die Erlernung beider Sprachen. Die Regierung wolle die Polen keineswegs
ihrer Muttersprache berauben. Wo gute Schulen sind, würden die Kinder
leicht polnisch zu Hause erlernen. Die Verordnung solle nur dem vorjährigen
Gesetze, welches das Deutsche zur Geschäftssprache aller Behörden erklärte,
den Boden ebnen. Auch habe die Regierung nur den polnischen Sprach-
unterricht aufgehoben, den Religionsunterricht in der Muttersprache (an Volks-
schulen) jedoch unverkümmert gelassen. Der Minister spricht sich wiederholt
gegen die Verquickung der Sprachenfrage mit dem Religionsunterrichte aus;
dieser Fehler dürfe nicht wieder gemacht werden. Für die Regierung war
auch die Erfahrung maßgebend, daß die Kinder der deutschen Bevölkerung
ihrer Muttersprache entfremdet wurden. Die Regierung sei der Überzeugung,
daß die deutsche Sprache Gemeingut aller Mitglieder des preußischen Staates
sein müsse. Das Ziel sei ein berechtigtes; es sei die Pflicht der Regierung,
dieses Ziel auch zu erreichen.
Im weitern Verlaufe der Debatte bekämpft Probst v. Sta-
blewski leidenschaftlich die Verordnung, welche eine gewaltsame
Verletzung der heiligsten Gefühle der polnischen Nation sei. Die-
selbe Maßregel, die man von Rußland in den Ostseeprovinzen, von
den Ungarn in Siebenbürgen verhängt als Brutalität verdamme,
lasse man in Deutschland ohne Widerspruch geschehen. Hierauf
spricht Windthorst (Z.):
Er äußert sein Befremden darüber, daß man in einer Zeit, wo der
Krieg drohend erscheine und man von dem Volke schwere Opfer verlange,
derartige Erregung erzeuge. Was werde im Kriegsfalle aus dem fünften
Armeekorps (Posen) werden, welches zunächst zum Kampfe komme? Die
Maßregel sei ein Ergebnis des Systems der Schultyrannei, wo Staatsraison
und nicht der Wille der Eltern über die Schule entscheide. Ein freigeistiger
Kultusminister könne einmal den Religionsunterricht ganz aufheben.
v. Schorlemer-Alst (Z.) tadelt ebenfalls die Maßregel:
Sie sei weder durch die Haltung der Polen noch durch politische
Zwecke begründet. Vielleicht bezwecke man damit, Posen so zu germanisieren,
daß es im Falle eines nach einem siegreichen Kriege mit Rußland, den er
für nahe hält, zu bildenden neuen Königreiches Polen keinen Bestandteil
desselben bilden könnte. Aber so schnell sei das nicht erreichbar. Entschieden
rügt Redner die unbotmäßige Adresse der Polen an den Erzbischof Dinder
und lobt dessen milde Antwort.
Im Schlußwort des Polen v. Jaroszeswski fragt dieser
den Kultusminister, nachdem er gegen Schorlemer das Verhalten
der polnischen Deputation in Schutz genommen, ob der Minister
denn dem Könige von Preußen seine Krone und Titel als Groß-
herzog von Posen entreißen wolle. Der Schluß der Rede geht in
der großen Unruhe des Hauses unter.
27.—30. Januar. (Sozialistengesetz.) Erste Lesung im