Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

396 Serbien. (Januar 1.) 
wärtige Standpunkt der serbischen Kirche anerkannt. 2) Bei der Reorgani- 
sation des Heeres soll die Wehrkraft des Landes nicht geschmälert, Erspa- 
rungen im Militär-Etat jedoch angestrebt werden. 3) Die Emigranten-Frage 
werde so weit gelöst, daß alle Emigranten, ausgenommen Paschic und Sta- 
nojevic, begnadigt werden sollen. 4) Die Anklage gegen das Ministerium 
der Fortschrittspartei wird fallen gelassen. 5) Die gegenwärtigen Finanz- 
vorlagen bleiben aufrecht, und die radikalen Abgeordneten verpflichten sich, 
die Regierung bei Ermittlung neuer Wege zur Sanierung der Staatsfinanzen 
zu unterstützen. 6) Die Gemeinde-Autonomie wird erweitert; politische und 
bürgerliche Freiheiten werden im Sinne des west-europäischen Liberalismus 
eingeführt und garantiert. 7) Das radikale Kabinet wird, nachdem es über 
die Majorität verfügt, mit der gegenwärtigen Skuptschina weiter arbeiten, 
um die finanziellen Vorlagen, besonders aber die betreffende Anleihe zu 
votieren. Sollte dies nicht gelingen, sind Neuwahlen auszuschreiben, von der 
Regierung aber nicht zu beeinflussen. 8) Die Arbeiten zur Revision der 
Verfassung sind in der bisherigen Weise fortzuseten. der Reform-Entwurf 
jedoch einem neuen, von der Regierung einzusetzenden Super-Revisions-Aus- 
schusse vorzulegen. 9) Die Fusion mit den Liberalen ist als gelöst zu be- 
trachten. 10) Pera Thodorovic ist aus der radikalen Partei auszuschließen. 
11) In äußeren Angelegenheiten wird die Politik König Milans aufrecht 
erhalten. 12) Die Ernennung der Kabinets-Mitglieder wird ausschließlich 
dem König überlassen. 
1. Januar. (Neues Kabinet.) Es konstituiert sich ein 
neues, gemäßigt radikales Kabinet in folgender Weise: 
Sava Gruic, Präsidium und Krieg; Oberst Franassovic, Aeußeres; 
Buic, Finanzen; Milosavljevic, Inneres; Velimirovic, Bauten; Hochschul- 
Professor Gersic, Justiz und Kultus; der Sektions-Chef im Ministerium für 
Volkswirtschaft, Steva Popovic, wurde zum Volkswirtschafts-Minister ernannt. 
Der Hofsekretär Milan Christic übernimmt die Agenden des General-Direktors 
des äußern Ministeriums. 
Am folgenden Tage empfängt König Milan eine Deputation 
der radikalen Partei in Audienz, welche erschienen war, um ihrer 
Dankbarkeit für das königliche Vertrauen, 
wie es bei der Lösung der letzten Kabinetskrise zu Tage trat, sowie 
ihrer Ergebenheit für den Thron Ausdruck zu leihen. König Milan richtet 
aus diesem Anlasse eine längere Ansprache an die Deputation, in welcher er 
der Loyalität und Korrektheit der Haltung der radikalen Partei während der 
letzten Krise volle Anerkennung widerfahren läßt. Der König drückt die 
offnung aus, daß die Radikalen — wie auch immer ihre Haltung in der 
pposition gewesen sei — jetzt, wo ein Kabinet aus ihrer Mitte gebildet 
wurde, sich als Regierungspartei bewähren, Beweise der Lebensfähigkeit ab- 
geben und die Reformen zu einem guten Ende führen werden, in betreff 
deren sich zwischen dem Lande und der Krone ein direktes Einverständnis 
ohne jegliche Zwischenvermittlung bereits herausgebildet hat. Der König 
drückt hierauf die Ueberzeugung aus, daß die äußere Politik der radikalen 
Partei von serbischem und nicht von flawophilem Geiste geleitet und beseelt 
sein wird. Nachdem der König festgestellt hatte, daß die radikale Partei den 
mit dem Verlangen einer Amnestie, welche zu den Vorrechten der Krone 
gehört, begangenen Irrtum selbst eingesehen und aufgegeben hätte, teilt er 
der Deputation mit, daß er aus eigenem Antriebe nunmehr die aus Anlaß 
der Insurrektion im Jahre 1883 Verurteilten begnadige, mit einziger Aus- 
  
 
	        
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