Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

166 Haos deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. Mitte.) 
tischer Gesichtspunkte im Schulunterricht, in Gemäßheit eines 
bei dieser Gelegenheit veröffentlichten Allerhöchsten Erlasses vom 
1. Mai 1889. Der Erlaß lautet: 
Schon längere Zeit hat Mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in 
ihren einzelnen Abstufungen nutzbar zu machen, um der Ausbreitung sozia- 
listischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken. In erster Linie wird 
die Schule durch Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterlande die 
Grundlage für eine gesunde Auffassung auch der staatlichen und gesellschaft- 
lichen Verhältnisse zu legen haben. Aber Ich kann Mich der Erkenntnis 
nicht verschließen, daß in einer Zeit, in welcher die sozialdemokratischen Irr- 
tümer und Entstellungen mit vermehrtem Eifer verbreitet werden, die Schule 
zur Förderung der Erkenntnis dessen, was wahr, was wirklich und was 
in der Welt möglich ist, erhöhte Anstrengungen zu machen hat. Sie muß 
bestrebt sein, schon der Jugend die Ueberzeugung zu verschaffen, daß die 
Lehren der Sozialdemokratie nicht nur den göttlichen Geboten und der christ- 
lichen Sittenlehre widersprechen, sondern in der Wirklichkeit unausführbar 
und in ihren Konsequenzen dem Einzelnen und dem Ganzen gleich verderb- 
lich sind. Sie muß die neue und die neueste Zeitgeschichte mehr als bisher 
in den Kreis der Unterrichtsgegenstände ziehen und nachweisen, daß die 
Staatsgewalt allein dem Einzelnen seine Familie, seine Freiheit, seine Rechte 
schützen kann, und der Jugend zum Bewußtsein bringen, wie Preußens Könige 
bemüht gewesen sind, in gortschreitender Entwickelung die Lebensbedingungen 
der Arbeiter zu heben, von den gesetzlichen Reformen Friedrichs des Großen 
und von Aufhebung der Leibeigenschaft an bis heut. Sie muß ferner durch 
statistische Thatsachen nachweisen, wie wesentlich und wie konstant in diesem 
Jahrhundert die Lohn= und Lebensverhältnisse der arbeitenden Klassen unter 
diesem monarchischen Schutze sich verbessert haben. 
Um diesem Ziele näher zu kommen, rechne Ich auf die volle Mit- 
wirkung Meines Staats-Miuisteriums. Indem Ich dasselbe auffordere, den 
Gegenstand in weitere Erwägung zu ziehen und Mir bestimmte Vorschläge 
zu machen, will Ich nicht unterlassen, nachstehende Gesichtspunkte besonderer 
Beachtung zu empfehlen. 
1) Um den Religionsunterricht in dem angedeuteten Sinne frucht- 
barer zu machen, wird es erforderlich sein, die ethische Seite desselben mehr 
in den Vordergrund treten zu lassen, dagegen den Memorierstoff auf das 
Notwendige zu beschränken. 
2) Die vaterländische Geschichte wird insonderheit auch die Geschichte 
unserer sozialen und wirtschaftlichen Gesetzgebung und Entwickelung seit dem 
Beginne dieses Jahrhunderts bis zu der gegenwärtigen sozialpolitischen Gesetz- 
gebung zu behandeln haben, um zu zeigen, wie die Monarchen Preußens 
es von jeher als ihre besondere Aufgabe betrachtet haben, der auf die Arbeit 
ihrer Hände angewiesenen Bevölkerung den landesväterlichen Schutz an- 
gedeihen zu lassen und ihr leibliches und geistliches Wohl zu heben, und 
wie auch in Zukunft die Arbeiter Gerechtigkeit und Sicherheit ihres Er- 
werbes nur unter dem Schutze und der Fürsorge des Königs an der Spitze 
eines geordneten Staates zu erwarten haben. Insbesondere vom Standpunkt 
der Nützlichkeit, durch Darlegung einschlagender praktischer Verhältnisse, wird 
schon der Jugend klar gemacht werden können, daß ein geordnetes Staats- 
wesen mit einer sicheren monarchischen Leitung die unerläßliche Vorbedingung 
für den Schutz und das Gedeihen des Einzelnen in seiner rechtlichen und 
wirtschaftlichen Existenz ist, daß dagegen die Lehren der Sozialdemokratie 
praktisch nicht ausführbar sind, und wenn sie es wären, die Freiheit des 
Einzelnen bis in seine Häuslichkeit hinein einem unerträglichen Zwange
	        
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