Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 18.) 125
sprechung durch vom Volk gewählte Richter. Berufung in Strafsachen.
Entschädigung unschuldig Angeklagter, Verhafteter und Verurteilter. Ab-
schaffung der Todesstrafe.
9) Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung einschließlich der Ge-
burtshilfe und der Heilmittel. Unentgeltlichkeit der Totenbestattung.
10) Stufenweise steigende Einkommen= und Vermögenssteuer zur Be-
streitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken
sind. Selbsteinschätzungspflicht. Erbschaftssteuer, stufenweise steigend nach
Umfang des Erbguts und nach dem Grade der Verwandtschaft. Abschaffung
aller indirekten Steuern, Zölle und sonstigen wirtschaftspolitischen Maß-
nahmen, welche die Interessen der Allgemeinheit den Interessen einer bevor-
zugten Minderheit opfern.
Zum Schutze der Arbeiterklasse fordert die sozlaldemokratische Partei
Deutschlands zunächst:
1) Eine wirksame nationale und internationale Arbeiterschutzgesetz-
gebung auf folgender Grundlage:
a) Festsetzung eines höchstens acht Stunden betragenden Normalarbeitstags.
b) Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter vierzehn Jahren.
c) Verbot der Nachtarbeit, außer für solche Industriezweige, die ihrer
Natur nach, aus technischen Gründen oder aus Gründen der öffent-
lichen Wohlfahrt Nachtarbeit erheischen.
d) Eine unterbrochene Ruhepause von mindestens 36 Stunden in jeder
Woche für jeden Arbeiter.
e) Verbot des Trucksystems.
2) Ueberwachung aller gewerblichen Betriebe, Erforschung und Rege-
lung der Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land durch ein Reichsarbeits-
amt Bezirksarbeitsämter und Arbeitskammern. Durchgreifende gewerbliche
Hygiene.
3) Rechtliche Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter und der
Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern; Beseitigung der Gesindeord—
nungen.
4) Sicherstellung des Koalitionsrechts.
5) Uebernahme der gesamten Arbeiterversicherung durch das Reich
mit maßgebender Mitwirkung der Arbeiter an der Verwaltung.
18. Oktober. Der Kaiser richtet folgendes Telegramm an
den Präsidenten der physikalisch-technischen Reichsanstalt, Professor
Dr. v. Helmholtz:
Es gereicht Mir zu großer Freude, Ihnen einen besonderen Beweis
Meiner aufrichtigen Verehrung und Bewunderung zu teil werden zu lassen,
indem Ich Sie zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz
ernenne. Sie haben, Ihr ganzes Leben zum Wohle der Menschheit ein—
setzend, eine reiche Anzahl von herrlichen Entdeckungen für deren Nutzen
vollbracht. Ihr stets den reinsten und höchsten Idealen nachstrebender Geist
ließ in seinem hohen Fluge alles Getriebe von Politik und der damit ver-
bundenen Parteiungen weit hinter sich zurück. Ich und Mein Volk sind
stolz darauf, einen solch bedeutenden Mann unser nennen zu können. Ich
habe den Geburtstag Meines heißgeliebten und unvergeßlichen Vaters zu
dieser Anerkennung gewählt, wohl wissend, wie hoch Er Sie schätzte und
ein wie treu ergebener Freund und Unterthan Sie Ihm waren. Möge Gott
uns Ihr teures Leben noch lange zum Wohle Deutschlands und der ge-
samten Welt erhalten.
Ihr wohlassektionierter König
Wilhelm R.