Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 27.) 157
Zirkel und setzen. Sie ihn auf die preußische Grenze und messen Sie ab, wie
viel Armeekorps liegen in Preußen und in Oesterreich auf demselben Raum,
in dem diese, unsere Laien oft erschreckende Masse Russen liegt, so werden
Sie die Erfahrung machen, daß diesseits der Grenze mehr liegen als jenseits.
(Hört! hörtl!)
Wie leichtsinnig die Welt mit diesen Dingen umgeht, dafür ist mir
vor einigen Tagen ein Beispiel in die Augen gefallen. Es ist durch die
Zeitungen die Nachricht gegangen, ein russisches Armeekorps, dessen Garnison
weit hinter Kiew, in Charkow, liegt, sei zu der Armee in Kiew geschlagen
worden; diese Armee in Kiew sei bestimmt, gegen Oesterreich vorzugehen.
Das Faktum mag richtig sein. Der Ort Charkow liegt aber, in der Luft-
linie gemessen, zu dem nächsten Ort der österreichischen Grenze in der Rich-
tung auf Lemberg, genau so weit ab, wie Koblenz in der Luftlinie gemessen
über Posen von dem nächsten Ort der polnischen Grenze. (Heiterkeit.) Ich
habe noch nicht gehört, daß ein Mensch das Dasein des Königlich preußischen
VIII. Armeekorps in Koblenz als eine Kriegsdrohung für Rußland ansähe.
Dies alles führe ich an, um den nicht berechtigten Beunruhigungen
entgegenzutreten. Ich will damit nicht sagen, daß unsere Armeeverwaltung
nicht das äußerste einsetzen muß; ich will nicht verneinen, daß, wenn es hart
auf hart kommt, wir großen Gefahren ausgesetzt sind. Aber beunruhigen
können wir uns immer noch später, — so weit ist die Sache noch nicht.
(Bravol) Wenn ich eine Truppe zu führen hätte und wüßte, sie soll sich
morgen schlagen, dann würde ich das Bestreben haben, sie heute nacht noch
ruhig schlafen zu lassen. Und ich meine, wenn ein Zeitungsschreiber wirk-
lich glaubt, wir wären so nahe vor dem Krieg, der thut klüger, er läßt
Handel und Wandel ihren Gang gehen, als er beunruhigt seine Leser vor
der Zeit und schwächt dadurch den nationalen Wohlstand, auf den wir doch
angewiesen sind, wenn es mal zum äußersten kommt. (Sehr richtigl)
Ich bin also der Meinung, daß nach allen diesen Richtungen ein
Grund zur Beunruhigung nicht vorliegt, und ich würde mich glücklich
schätzen, wenn ich durch diese Aussprache dazu beigetragen hätte, die Beun-
ruhigung wenigstens zu reduzieren. Der Pessimismus ist schwächlich. Ich
glaube, die Regierungen, die man oft als schwächlich geschildert hat, sind
es nicht in dem Maße, als diese Gefühle, von denen ich hier gesprochen
habe. Will man uns aber der Schwäche zeihen, so soll man doch heraus-
kommen; ich will Rede und Antwort stehen. Man soll sagen: was haben
wir eigentlich gemacht, was hätten wir besser machen müssen, wo liegen die
Fehler. Was nutzt das mir, mit dem Fragezeichen von dunklen Gefahren,
von Maßregeln zu sprechen, die die Regierung wahrzunehmen nicht im stande
ist. Klären Sie uns auf, — wir sind dabei; aber lassen Sie diese Art —
möchte ich sagen — von unterirdischer politischer Taktik gegen eine Regie-
rung, die, soweit mein Auge reicht, im stande ist, das zu vertreten, was sie
gethan hat. Es existiert doch auch zwischen der Regierung und der Nation
ein gewisses Wechselverhältnis, und ich glaube, es hat keine Nation um
ihrer selbst willen ein Interesse, ihre Regierung ohne Not als schwächlich
hinzustellen; und wenn ich auch für mich nicht plaidieren wollte, so bin ich
der Meinung, die Nation, wenn sie sich selbst achtet, sollte etwas vorsichtiger
mit solchen Angriffen gegen die Regierung sein. (Bravo!) Wir haben das
aufrichtige Bestreben, nach außen mit allen anderen Nationen in Frieden zu
leben. Es ist uns das bisher geglückt; ich wüßte nicht, warum es uns nicht
weiter glücken sollte. Die deutsche Politik ist nach meinem Dafürhalten da-
durch in einer sehr glücklichen Lage, daß sie sich auf eine gute Armee und
auf eine Nation, die mit ihren sämtlichen Männern schließlich, wenn es sein
muß, hinter der Armee steht, stützen kann; (Bravo!) und ich wüßte nicht,