18 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 3.—6.)
etwas indirekteren, aber vielleicht noch schärferen Form von Herrn von Kar-
dorff ausgesprochen ist, der aussprach, er könne jetzt nicht mehr sich für die
Kolonialpolitik enthusiasmieren — ich weiß nicht, ob das der Ausdruck
war —, früher hätte er es gethan; seit man aber Witu und das Protektorat
über Sansibar aufgegeben habe, sei ihm die Sache nichts mehr wert. Das
ist ein unendlich schwerer Vorwurf für die Regierung, wenn deren Verhalten
so gewesen sein sollte, daß so patriotische Männer nicht mehr in der Lage
sind, sich für einen so wesentlichen Zweig unseres öffentlichen Lebens zu inter-
essieren. Und wenn die Regierung daran die Schuld trüge, so müßte sie
allerdings sehr große Fehler gemacht haben. Ich werde versuchen, von
meinem Standpunkt aus nachzuweisen, daß das nicht geschehen ist. Ich bin
zu diesem Versuch umsomehr veranlaßt, als nach dem deutsch-englischen Ab-
kommen ein thatsächlicher Entrüstungssturm durch die Presse ging gegen diese
Regierung, für die kaum ein Attribut scharf genug war.
Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas weiter aushole und mit der Frage
anfange: was fanden wir denn vor einem Jahre in Bezug auf Ost-Afrika
vor? Wir fanden in Ost-Afrika zwei deutsche Schutzgebiete: Witu und das
von der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft erworbene Ost-Afrika. Diese
beiden Gebiete waren durch eine breite Zone anderen Gebiets voneinander
getrennt. Unser eigenes Ost-Afrika gliederte sich in die 10 Seemeilen breite
Küste, auf der die Flagge des Sultans von Sansibar unangefochten nach
wie vor wehte. Es folgte dann das Schutzland, in dem die Ostafrikanische
Gesellschaft einen gewissen Einfluß übte, und endlich die Interessensphäre.
Dieser Interessensphären waren wieder zweierlei: einmal die anerkannt deutsche
Interessensphäre, an die England keinen Anspruch machte, und dann die so-
genannten strittigen Interessensphären, von denen eine im Norden und eine
im Süden der anerkannten deutschen Interessensphäre lag. Im Lande war
Kriegszustand: der Major von Wißmann, auf Grund der Vollmachten, die
er bekommen hatte, suchte das Land zu pazifizieren. Handel und Wandel
lagen darnieder, die sogenannten Städte, also die kleinen Anhäufungen von
Wohnungen, die da existierten, waren zum größten Teil niedergebrannt. Ich
glaube, es hatte bis dahin nur eine einzige Plantage den Anfang gemacht,
zu existieren; sie existiert auch nicht mehr, und in Sansibar stritt sich deutscher
und englischer Einfluß darum, wer heute oder morgen das Ohr des Sultans
von Sansibar hätte. Das war ein Zustand, so schlimm, wie er nur sein
konnte, der herbeigeführt war nicht durch ein Verschulden der früheren Re-
gierung. Ich will auch der Ostafrikanischen Gesellschaft keinen Vorwurf
machen. Es war ein Zustand, der sich ohne Zuthun unsererseits aus den
Verhältnissen entwickelt hatte. Es mußte nun eine der ersten Fragen der
Regierung sein: wie stellen wir uns den Dingen gegenüber? Schon unter
meinem Amtsvorgänger waren Verhandlungen eingeleitet worden, die dahin
gingen, mit England zu einem erträglichen modus vivendi zu kommen. Die
Verhandlungen hatten aber noch nicht begonnen. Am 2. Mai v. J. gab
Se. Majestät der Kaiser für die Verhandlungen der ostafrikanischen An-
gelegenheiten im Immediatvertrage die Entscheidung, daß
1. die für Kolonialzwecke verfügbar zu machenden Mittel in erster
Linie auf Ost-Afrika zu verwenden sind;
2. daß in den jetzt beginnenden Verhandlungen mit England auf
Anerkennung der deutschen Ansprüche auf die strittigen Interessensphären,
zunächst auf die nördliche, dann die südliche, hingewirkt werde, und daß im
Notfall das Preisgeben von Wituland bis Kismaju, vorbehaltlich der Be-
friedigung etwaiger berechtigter Ansprüche der dort interessierten Deutschen,
als Kompensation zulässig sei;