156 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 23.)
nennt, war eine Seitenlinie der pommerschen Herzöge, an der die Polen
keinen Anteil hatten und die, wie sie ausstarb mit Nesterin und Svante-
polk, an die Erblinie von Waldemar, Markgrafen von Brandenburg, als
Lehnsherrn zurückfiel. Dieser konnte es nicht halten in den Kämpfen, die
er dort hatte, und er trat es vertragsmäßig an den deutschen Orden ab.
So ist der Links-Weichsel-Teil von Westpreußen denn schließlich an den
deutschen Orden und mit dem deutschen Orden im Frieden von Thorn an
Polen gekommen. Auf diese Weise haben die Polen es erworben. Aber
wenn man heute die polnischen Zeitungen liest, so geht daraus hervor, daß
man in Polen annimmt, es wäre ganz Preußen von Polen bevölkert worden
und als ob Preußen zu Polen gehört hätte und durch das mörderische
Schwert des Deutschordens hingeopfert und vernichtet wäre. Umgekehrt,
Preußen war ein Hort deutscher Kultur, Westpreußen namentlich am rechten
Weichselufer ein deutsches Land, und die Polen haben es bei der Eroberung
verwüstet, erobert — teils durch Geld: sie kauften den aufrührerischen Söld-
nern die Burg Marienburg ab und erstürmten die Stadt Marienburg.
Ein Beweis, wie anders die Polen verfahren als die Deutschen, geht daraus
hervor, daß sie den tapferen Bürgermeister von Marienburg, er hieß Blug,
gefangen und auf das Schaffot gebracht und enthauptet haben. Sie ver-
wüsteten nachher das östliche Weichselufer in ihren Kriegen mit Schweden.
Auf diesen Brandstätten wurden Nationalpolen, entlassene Heerkorps, Re-
gimenter mit Offizieren und Mannschaften angesetzt, und dadurch entstand
der Polonismus in diesem ursprünglich deutschen Lande, und daß er so
eindringen konnte, war ja nur das Ergebnis der Uneinigkeit innerhalb des
Ordenslandes. Der Orden war ein hinreichend mächtiges Gebilde, um sich
der Polen mitsamt den Jagellonen zu erwehren, wenn seine Einsassen und
Unterthanen zu ihm hielten. Es war damals der Abfall der Städte und
der Ritterschaft unter Johann von Boysen, die zu den Polen übergingen,
ein Abfall, der vielleicht berechtigt war durch die Mißregierung des Ordens,
kurz es war Bruch und Zwiespalt innerhalb dieses mächtigen deutschen
Ordensstaates notwendig, um den Einbruch der Polen zu gestatten. Polen
hat diese Länder damals durch Schwert, Bestechung und inneren Aufruhr
gewonnen, es kann sich nicht beklagen, wenn es sie nachher durch das Schwert
wieder verloren hat. Wir besitzen sie seit 1815, werden sie hoffentlich in
einigen Jahrhunderten immer noch besitzen. (Beifall.)
Ich habe daran immer geglaubt, aber meine Hoffnung einer gün-
stigen Entwickelung der Sache steht heut um so viel fester, wenn ich mir
die Aeußerungen Seiner Majestät des Kaisers in Königsberg, in Marien-
burg zum 17. Armeekorps und zu seinen Offizieren und gestern in Thorn
(Lebhafter Beifall) vergegenwärtige. Ich darf annehmen, daß, was Se.
Majestät der Kaiser gestern in Thorn geredet hat, sich mit der Schnellig-
keit des Telegraphen hinreichend verbreitet hat, um nichts neues zu sein,
Sie wissen es alle (Zustimmung). Also wenn wir nicht in der Uneinigkeit
des deutschen Ordens vom 15. Jahrhundert, sondern in Geschlossenheit, die
die deutsche Nation im Bunde mit ihren Fürsten und ihrem Kaiser bildet,
dem Polonismus gegenübertreten, so kann eine ernste Gefahr für uns nicht
mehr vorliegen.
Sie ist überwunden, sobald dieser Einklang der amtlichen und der
nationalen Ueberzeugung innerhalb der deutschen Länder den Polen gegen-
über konstatiert ist. Dann wird die ganze Polenfrage auf ihr natürliches
Verhältnis zurückgeführt, einer bedauerlichen aber doch dem gesamten deutschen
Reichskörper gegenüber schwachen Opposition und einer Opposition, die nicht
die Aussicht hat, in welcher Se. Majestät in Königsberg ihr Berechtigung
zusprach, nämlich daß sie vielleicht durch den Kaiser genehmigt und reha-