Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember Anf.) 185
§ 23.
3. wenn der Inhalt einer Druckschrift den Thatbestand einer der in
den §§ 85, 95, 111, 111a, 112, 126, 130 oder 184 des Deutschen
Strafgesetzbuchs mit Strafe bedrohten Handlungen begründet.
Artikel IV.
Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündigung in Kraft.
Anf. Dezember. Urteile der Presse über die Umsturz-
vorlage.
„Freisinnige Zeitung": Die Vorlage werde wenig Einfluß auf
die Sozialdemokratie haben. „Die Hauptbestimmungen der Novelle in den
§§ 130 und 131 werden mindestens so oft Preßerzeugnisse und öffentliche
Reden von Angehörigen anderer Parteien treffen, als Sozialdemokraten.
Die Strafbestimmung gegen den Angriff auf die Religion würde voraus-
sichtlich eine größere Rolle spielen in den religiösen Kämpfen der Gegen-
wart als im Verhältnis zur Sozialdemokratie.“
„Volks-Zeitung“. Wenn die Vorlage, namentlich § 130 Gesetz
würde, könne „Deutschland getrost ausscheiden aus der Reihe der soge-
nannten Kulturländer, in die man es, bisher wenigstens, immer noch ver-
wiesen hat. Dann ist die Ruhe des Kirchhofs ausgebreitet über das große
Volk, das sich so gern „das Volk der Denker“ nennt"“.
Die „Staatsbürgerzeitung“ verwirft das Gesetz, weil es eine
unbedingte Knebelung der freien Meinungsäußerung bedeute.
Das „Volk“: „Ob die Umsturzvorlage der Sozialdemokratie auch
nur einen ihrer bisherigen Anhänger rauben wird, ist uns zweifelhaft.
Daß sie keinem mit der Not des Lebens kämpfenden Bauern, Handwerker
oder Beamten Hilfe bringen oder ihn gar vor dem Anschluß an die So-
zialdemokratie bewahren wird, ist sicher. Was unter diesen Umständen eine
Vorlage soll, die übrigens auch ganz andere Leute wie die Sozialdemo-
kraten und Anarchisten mit ihren Fangarmen bedroht, das mag die Weis-
heit anderer beantworten.“
„Die Post“: „Die Umsturzvorlage bezweckt selbstverständlich nicht,
die Sozialdemokratie zu beseitigen; sie soll nur die dazu in der Hauptsache
bestimmte Politik positiver Reform nach der Seite der Repression ergänzen.
Sie erschöpft auch keineswegs noch alle Mittel der Abwehr, welche auf
diesem Gebiete gegeben sind. Aber sie ist ein erster und bedeutungsvoller
Schritt in der Richtung, die sozialdemokratischen Umsturzbestrebungen als
eine imminente Gefahr für die Existenz unserer Staats- und Rechtsordnung
mit der auch für das Gewissen der weitesten Kreise laut vernehmbaren
Stimme des Gesetzes deutlich zu charakterisieren, und deshalb voller Zu-
stimmung und kräftigster Unterstützung wert.“
Die „Kreuz-Ztg." steht der Vorlage nicht grundsätzlich ablehnend
gegenüber, erwartet aber wenig von ihrer Wirksamkeit. „Die Sozialdemo-
kratie wird durch dieses Vorgehen gegen sie zunächst den Hader in ihren
eigenen Reihen auslassen und sich wieder geschlossener zeigen wie zuvor,
auf der anderen Seite wird sie Mittel finden, um die Klippen des Gesetzes
zu umschiffen, ohne daß sie nötig hat, mit ihrer Agitation nachzulassen.
Ihr Nährvater ist die Unzufriedenheit, und zwar nicht ausschließlich die
Unzufriedenheit in den untersten Volksschichten, sondern auch diejenige, die
dank einer verkehrten Gesetzgebung auch in den Mittelständen Platz gegriffen
hat. Sie wird bestehen bleiben, so lange die menschliche Arbeitskraft aus-
schließlich in den Dienst des Kapitals und der Börse gestellt ist. Nur wirk-
liche, von christlichem Geiste getragene soziale Reformen können uns Besse-
rung bringen."