Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Die Oesterreihisch·Angarishe Monarchie. (Mai 30.—Juni 1.) 213 
vention in Geltung bis zum Ablaufe eines Jahres vom eventuellen Kün- 
digungstage an. 
Handelsminister Graf Wurmbrand betont, daß Oesterreich, wenn 
es den Vertrag nicht geschlossen hätte, von Deutschland rücksichtlich des 
Konventionaltarifs nicht nur differenziert werden, sondern gegenüber Ruß- 
land wahrscheinlich unter den Maximaltarif gefallen wäre. Die österreichische 
Industrie, die auf den Osten angewiesen sei, wäre schwer geschädigt worden. 
Die Vorteile des russischen Handelzvertrages wären so bedeutend, daß die 
als Gegenkonzession zugestandene Bindung der Getreidezölle nicht ins Ge- 
wicht fiele. Es würde Aufgabe der Regierung sein, gegen eventuelle Aus- 
schreitungen im Veredlungs= und Mehlverkehr vorzusorgen, auch darauf zu 
sehen, daß die Bestimmungen über den Grenzverkehr mit Italien und Ser- 
bien auf diesen Grenzverkehr beschränkt blieben. Die Regierung hielte auch 
Rußland gegenüber diesen Standpunkt ein. Mit dem russischen Vertrage 
wäre die Reihe der Verträge Oesterreichs mit den größeren europäischen 
Staaten abgeschlossen. Durch diesen Vertrag wäre eine Stetigkeit geschaffen 
worden, die mit der in Aussicht gestellten Hebung des Verkehrs und mit 
der Stabilität des Geldes die Hebung der Industrie sichern würde. Die 
Regierung würde bestrebt sein, durch ihre Tarifpolitik die gegenwärtigen 
Verhältnisse zu unterstützen. Der Minister betonte ferner auch die politische 
Bedeutung des Vertrages und konstatierte mit Freuden das beim Abschluß 
des Vertrages von Rußland gezeigte Entgegenkommen, aus dem man ent- 
nehmen dürfe, daß Rußland in dem Vertrage ein Zeichen gegenseitiger 
freundlicher Beziehungen erblicke. Darin läge die allergrößte Bürgschaft 
für eine friedliche Zukunft und eine gedeihliche Entwicklung der Volks- 
wohlfahrt. (Lebhafter Beifall.) 
Der Vertrag wird hierauf mit großer Mehrheit angenommen. 
30. Mai. (Ministerpräsident Wekerle.) Der Kaiser erteilt 
dem ungarischen Ministerpräsidenten eine Audienz. 
31. Mai. (Wien.) Abgeordnetenhaus. Vorlage eines neuen 
Preßgesetzes. 
Die Erlaubnis zum Verkauf von periodischen der Behörde ange- 
zeigten Druckschriften erteilt die politische Landesbehörde. Sie darf nie- 
mandem, der nach der Gewerbeordnung zum selbständigen Betriebe eines 
Gewerbes berechtigt ist, versagt werden. Die Bestimmungen der Gewerbe- 
ordnung über Entziehung der Berechtigung eines Gewerbebetriebes gelten 
auch für den Verkauf der Druckschriften. 
1. Juni. (Wien.) Entlassung Wekerles, Berufung Hédervarys. 
Der Kaiser nimmt die Demission des Ministeriums Wekerle an und 
betraut den Banus Grafen Khuen-Hédervary mit der Bildung eines neuen 
Kabinets. Der Banus, der für die Zivilehe gestimmt hat, erklärt sich zur 
Bildung eines neuen Ministeriums bereit, doch nur unter der Bedingung, 
daß das ganze Programm der bisherigen Regierung vollständig aufrecht 
erhalten bleibt und die kirchenpolitischen Reformen im Sinne der Vorlagen 
des Ministeriums Wekerle sofort durchgeführt werden. 
1. Juni. (Wien.) Herrenhaus. Verträge. 
Das Herrenhaus nimmt ohne Debatte in zweiter und dritter Lesung 
den Handels= und Schiffahrtsvertrag mit Spanien an, ferner die Handels- 
konvention mit Rumänien, sowie die Zusatzerklärung zu dem internationalen 
Uebereinkommen über den Eisenbahn-Frachtverkehr. 
 
	        
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