Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.) 11   
zurück, und man weist, unter Bezugnahme auf andere Länder, darauf hin, 
daß die Höhe der Steuer im umgekehrten Verhältnis zum Konsum stände. 
Das ist durchaus unrichtig. In Oesterreich-Ungarn entfallen an Steuer 
5,98, an Konsum 2,10 Kilogr. auf den Kopf der Bevölkerung, also erheb- 
lich mehr wie bei uns, trotz der sechsfach höheren Steuerbelastung. In 
Deutschland soll die Ausgabe für Tabak von 1878 bis 1891 von 5,47 auf 
5,63. M. pro Kopf gestiegen sein, also nur um 16 J. Wo existiert denn aber eine 
Statistik, auf Grund deren solche Behauptungen aufgestellt werden können? 
Das sind Behauptungen, die, mit Shakespeare zu reden, mindestens aus der 
Luft gegriffen find. In einem Regieland wie Oesterreich, gibt es genaue 
zahlenmäßige Unterlagen. Dort ist im Laufe der Jahre das Konsum- 
quantum pro Kopf gesunken, die Geldausgabe gestiegen, aus einem sehr 
natürlichen Grunde, weil man eben auch dort immer mehr mit der wachsenden 
Volksbildung, möchte ich fast sagen, von der Pfeife zur Zigarre und der 
Zigarette übergeht. Dort betrug der Verbrauch 1875 1,50, 1891 1,30 Kilogr., 
dagegen die Ausgabe 2,64 refsp. 3,41 Gulden. Da werden nun immer die 
5,63 M. in Deutschland als eine Art mystisch-sakramentale Zahl hingestellt. 
Man brauchte eben solche Behauptungen, um die ungeheuere Agitation ins 
Werk zu setzen. In Frankreich, wo das Tabaksmonopol ist, vollzieht sich 
sich ein Aehnliches. 1872. in welchem Jahre der gewöhnliche Tabak eine 
Steuerhöhung von 10 auf 12,50, also um 25 pCt. erfuhr, betrug dort der 
Verbrauch auf den Kopf 0,748 Kilogr., die Ausgabe 7,40 Fr., trotzdem 
stieg der Konsum im nächsten Jahre auf 0,87 Kilogr., die Ausgabe auf 7,99 Fr., 
bis 1891 auf 0,943 Kilogr. bezw. 9,67 Fr. Es wird von der Industrie immer 
behauptet, der Konsumrückgang müßte eintreten, weil die Preise der Tabaks- 
fabrikate infolge der neuen Steuer steigen würden. 1878 wurde das Monopol 
damit befürwortet, daß durch den weit verbreiteten Zwischenhandel die Preise 
ganz unangemessen im Detail erhöht würden. Damals wurde behauptet, der 
Gewinn des Detailhandels wäre viel geringer, als gewönlich angenommen 
würde, während man jetzt sagt, er müßte einen so hohen Gewinn machen, 
um überhaupt existieren zu können. Es ist hiernach ein Konsumrückgang 
nicht nachgewiesen und nicht einmal wahrscheinlich. Was nun den Punkt der 
Arbeiterentlassungen betrifft, so können Sie sich darauf verlassen, wenn die 
Regierung glaubte, daß durch Erlaß dieses Gesetzes solche traurigen sozialen 
Folgen eintreten würden für die in der Tabaksbranche beschäftigten Ar- 
beiter, so würden sie dies Gesetz nicht eingebracht haben. (Na! na! links.) 
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Zahl der Arbeiterentlassungen in 
demselben Verhältnis gestiegen ist, wie der Umfang der Agitation. Zuerst 
wurde nur ganz schüchtern behauptet, 5 - 10,000 müßten entlassen werden, 
dann kam man zu 33,000; man erhitzte sich dann in den großen Agitations- 
versammlungen, nahm den Mund etwas voller und sprach von 50,000 und 
und jetzt sind wir auf dem erfreulichen Wege dahin gelangt, daß auf dem 
Kongreß der deutschen Tabaksinteressenten behauptet wurde, mindestens 
80— 100,000 würden entlassen werden. Gestatten Sie, daß ich diese 
100,000 unter die Lupe bringe. (Heiterkeit.) Eine ganze Zeit habe ich 
die Zahl von 160,000 Tabaksarbeitern mit einer gewissen harmlosen Gläubig- 
keit für richtig angenommen. Nun bin ich aber mißtrauisch geworden. In 
Frankreich gibt es nur 18,000, in Oesterreich-Ungarn nur 36,700 Tabaks- 
arbeiter. An Rohtaback wurden jährlich verarbeitet bei uns 1,480,000, in 
Frankreich 622,919, in Oesterreich 722,344 Ztr. Danach würde bei uns 
ein Tabaksarbeiter jährlich nur 9 Ztr., in Frankreich dagegen, 40,16 und 
und in Oesterreich 16,96 Ztr. verarbeiten. Ich gestehe ohne Weiteres zu, 
daß die Zentralisation der Industrie, die Verbesserung und vermehrte Ver- 
wendung von Maschinen dahin führt, daß in jenen Ländern mit Monopol
	        
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