Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

274 I#alien. (Jannar—Februar 21.) 
Januar. Enthüllungen über Rudini. 
Die „Times“ behauptet, Rudini habe, als er Minister war, den 
Dreibund aufgeben und sich Frankreich nähern wollen. Die „Tribuna“ ent- 
gegnet, Rudini habe den Dreibund nicht verlassen, sondern nur Italiens 
Stellung darin modifizieren wollen, die Verhandlungen mit Frankreich hätten 
sich aber bald zerschlagen, und so sei der Dreibund erneuert worden. Rudini 
erhebt in der „Opinione“ Widerspruch. 
25. Januar. Crispis „Riforma“ begrüßt das „große Ber- 
liner Ereignis“, die Aussöhnung zwischen Kaiser Wilhelm und 
Bismarck, mit größter Befriedigung. 
31. Januar. (Massa.) Anarchistenprozesse vor dem Kriegs- 
gericht. 
Das Kriegsgericht verurteilt mehrere Anarchisten zu mehrjährigen 
Gefängnisstrafen, darunter den Rechtsanwalt Molinari zu 23 jährigem Kerker 
wegen Vereinigung gegen die Familie, die Person und das Eigentum und 
wegen Aufreizung zu Verwüstung, Plünderung und Metzlei in den Städten 
Massa und Carrara“. Die Presse bezeichnet den Spruch fast durchweg als 
zu hart, da Molinari nur theoretisch an den Bestrebungen der Anarchisten 
teil genommen habe. (Vgl. 19. März.) 
1. Februar. In den Papieren des verhafteten Anarchisten 
Merlino findet die Regierung Beweise, daß die Anarchisten eine 
Zerreißung Italiens planen. 
20. Februar. Zusammentritt der Kammer. 
21. Februar. (Deputiertenkammer.) Budgetentwurf. Fi- 
nanzreform. 
Der Finanzminister Sonnino legt den Budgetvoranschlag für 1894/95 
vor. Er beginnt mit der aufrichtigen rückhaltlosen Darlegung der gegen- 
wärtigen Finanzlage, die pro 1894/95 ein effektives Defizit in Höhe von 
177 Millionen voraussehen lasse. Die Schuld des Schatzkontos übersteige 
eine halbe Milliarde. Von dieser Finanzlage rühre teilweise die innere 
Krisis des italienischen Marktes her. Deshalb müsse nicht nur für das 
Budget und den Schatz, sondern auch für den Geldumlauf und die Banken 
vorgesorgt werden. Der Minister faßt eine Reihe von Ersparnissen im Ge- 
samtbetrag von 45 Millionen ins Auge, von denen ein Betrag von 27 Mil- 
lionen sofort, der Rest aber in den zukünftigen Gebahrungsperioden zu 
realisieren sei. Die größten Ersparnisse würden durch eine Reform der 
inneren Verwaltung auf der Basis der Dezentralisation und der Verein- 
fachung des Dienstes gesichert werden können. Für diese Reform verlangt 
die Regierung unbedingte Vollmacht von der Kammer. Der Finanzminister 
schlägt ferner eine Reihe von neuen Auflagen vor, die insgesamt 100 Mil- 
lionen ergeben sollen, nämlich 1) die Wiedereinführung des Zuschlags von 
zwei Zehnteln auf die Grundsteuer, wodurch 17 Millionen erzielt werden 
dürften; 2) die Erhöhung der Steuersätze bei allen Steuerkategorien für be- 
wegliches Vermögen und der Einkommensteuer; dadurch würde dem Staat 
ein Ertrag von 52 Millionen zugeführt werden, den gegenwärtig die Ge- 
meinden aus dieser Steuer ziehen. Die allgemeine Steuer für Mobiliar- 
vermögen wird auf 20% erhöht. Es wird dann 3) eine Erhöhung des 
Salzpreises beabsichtigt, die einen Mehrertrag von 8 Millionen ergeben 
würde; 4) eine Erhöhung der Erbschaftstaxen um 4 Millionen; 5) eine Er- 
 
	        
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