300 Rußland. (Oktober 1.—November 2.)
1. Oktober. Das Kaiserpaar reist nach Livadia (Krim.) Für
den Winter wird ein Aufenthalt in Korfu geplant.
17. Oktober. (Livadia.) Krankheit des Zaren.
Die Königin von Griechenland und Großfürstin Konstantin reisen
zum Zaren, in ihrem Gefolge befindet sich der Heilkünstler Pater Johann
v. Kronstadt. Es heißt, Pobedonoszew habe dem Zaren geraten, ihn kommen
zu lassen, um für seine Genesung zu beten, und der Zar habe schließlich
eingewilligt.
22. Oktober. Die Braut des Thronfolgers, Alix von Hessen,
trifft in Livadia ein. Viele Mitglieder der kaiserlichen Familie
finden sich ferner dort ein.
24. Oktober. (Reval.) Der Gouverneur von Estland, Fürst
Schachowskoi, f.
(Vgl. über ihn Secundus, Ein Russifikator. Preuß. Jahrb. Bd. 79.)
Ende Oktober. Sektenwesen.
Der amtliche Bericht des Oberprokurators der Heil. Synode über
das Jahr 1890 91 teilt mit, daß die verschiedenen Sekten der Raskolnikie
in Rußland in der letzten Zeit eine nicht unbeträchtliche Zunahme erfahren
haben. So zählte man im angegebenen Jahre in der Saratower Dibzese
70,000, in der Samarer 52,000, in der Wiatker 72,000, in der Tscherni-
gower 50,000, in der Polozker 82,000, in der vom Don 106,000 und in
Sibirien 170,000 Raskolniki. Die Anhänger aller dieser Sekten find nach
dem Bericht von Haß gegen die Orthodoxen erfüllt.
1. November. Tod des Zaren 2 Uhr nachmittags.
2. November. (Livadia.) Zar Nikolaus II. erläßt fol-
gendes Manifest:
„Wir thun allen treuen Unterthanen kund: Es war der Wille Gottes,
auf unerforschlichem Wege dem kostbaren Leben Unseres heißgeliebten Kaiser-
lichen Vaters ein Ziel zu setzen. Sein schweres Leiden wich nicht der ärzt-
lichen Kunst, noch dem wohlthätigen Klima der Krim, und so starb er in
Livadia am 20. Okt., umgeben von seiner Familie, in den Armen der
Kaiserin und den Unsern. Unser Schmerz ist unaussprechlich, aber ihn ver-
steht jedes russische Herz und Wir glauben, daß es keinen Ort im weiten
aussischen Reiche gibt, wo nicht heiße Thränen fließen werden um den vor-
zeitig abberufenen Kaiser, der von seinem Lande schied, das er mit der
ganzen Kraft seiner russischen Seele liebte und auf dessen Wohlergehen er
alle seine Gedanken richtete, weder Gesundheit noch Leben schonend. Aber
auch weit hinaus über Rußlands Grenzen wird man nicht aufhören, das
Gedächtnis des Zaren zu ehren, der die unerschütterliche Wahrheit und den
Frieden verkörperte, der kein einziges Mal unter seiner Regierung gebrochen
wurde. Allein es geschah der Wille des Allerhöchsten. Uns stärkt Unser
unerschütterlicher Glaube an die Weisheit der Vorsehung, Uns tröstet das
Bewußtsein, daß Unser Schmerz der Schmerz des ganzen geliebten Volkes
ist, und dieses wird nicht vergessen, daß die Kraft und die Stärke des hei-
ligen Rußlands in seiner Einheit mit Uns und in der unbegrenzten Er-
gebenheit gegen Uns liegt. Wir aber gedenken in dieser schmerzlichen, aber
feierlichen Stunde der Besteigung des Thrones des russischen Reichs und
es von diesem unzertrennlichen Zarentums Polen und des Großfürstentums