Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

32 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 23. —24.) 
angenommen werde; bestätige sich dies, dann sei, wie bemerkt, der Abgleich 
des Budgets gesichert. Andernfalls sei zu beachten, daß bei der Budget- 
beratung das Nötige zu bewilligen sei und daß äußerstenfalls zur Steuer- 
erhöhung geschritten werden müßte. Das Gebiet der indirekten Steuern 
sei für Bayern erschöpft, und zwar aus dem natürlichen Grunde, weil wir 
mit den übrigen Staaten ein einheitliches Wirtschaftsgebiet bilden und 
uns nicht gegen dieselben abschließen können. Wenn, wie auch vorgeschlagen 
worden sei, eine Reichseinkommensteuer und eine Reichserbschaftssteuer be- 
schlossen würde, was bleibt denn dann für Bayern noch übrig! Wir 
würden wieder an 2 Millionen Erbschaftssteuer verlieren, und unsere Erb- 
schaftssteuer durch Besteuerung der Deszendenten auszubauen, verbiete sich 
auch; das wäre eine Besteuerung des Unglücks, während die Besteuerung 
der Erbschaften von entfernteren Verwandten eine Besteuerung des Glücks 
ist, und für diese Steuer seien 8 Prozent genug. — Die Frage, ob 
unsre Einnahmen im Budget nicht erhöht werden können, beantworte 
er dahin: Von 1892 stehe noch eine Mehreinnahme von 12 Millionen 
Mark zur Verfügung. Bei der Budgetaufstellung seien mit Rücksicht 
auf die Erhöhung der Matrikularbeiträge und auf den Bedarf für die 
nichtpragmatischen Bediensteten die Ausgaben so zu stellen gewesen, daß 
nicht mehr viel von jenem Ueberschuß übrig blieb. Der Einnahmemehrbetrag 
von 1892 kehre überhaupt nicht mehr wieder und an den anderen Ein- 
nahmeposten lasse sich nicht mehr erhöhen, als schon bei der Aufstellung 
des Budgets geschehen sei; es könne demnach eine wesentliche Erhöhung der 
Einnahmen nicht erfolgen. Man könnte von den bewilligten einmaligen 
Ausgaben, z. B. von den großen Bauten, einzelne Raten herübernehmen, 
aber das sei der Anfang der Mißwirtschaft, wenn man dauernde Ausgaben 
auf einmalige Einnahmen fundiere. Die Hoffnung, daß der Reichstag, 
wenn er jetzt nicht helfe, im nächsten Jahre helfen müsse, sei für Bayern 
ohne Bedeutung, da der Reichstag dann zu einer norddeutschen Biersteuer 
greifen werde, was Bayern selbstverständlich nichts helfen würde. Er halte 
daran fest, daß, wenn die Einzellardrage  die Sache mit der Tabaksteuer 
noch einmal anfassen, dies im Reichstag von großer Wirkung sein werde, 
zumal dort schon ein ansehnlicher Kern von Zustimmung vorhanden sei. 
Wenn die Steuer durchgehe, dann glaube er, daß unser Budget wieder auf 
eine Reihe von Jahren gesichert sein werde. 
Januar. Kolonialpolitik. Mehrere Blätter bringen An- 
griffe gegen die Verwaltung des Gouverneurs von Ostafrika, Oberst 
v. Scheele. 
23./24. Januar. (Abgeordnetenhaus. Etatsberatung.) 
Die Vertreter der konservativen, freikonservativen und national- 
liberalen Partei stimmen im allgemeinen den Ausführungen des Finanz- 
ministers vom 18. Januar und den Gedanken der Reichssteuerreform zu, 
das Zentrum und vor allem die freisinnigen Parteien erklären sich dagegen. 
24. Januar. (Braunschweig.) Eröffnung des Landtages. 
Januar. Schiller- und Verdun-Preis. 
Die Kommission für Erteilung des Schillerpreises schlägt einstimmig 
Ludwig Fulda, den Verf. des „Talisman" vor, der Kaiser bestätigt jedoch 
den Vorschlag nicht. Auch den Vorschlag der Kommission für Verteilung 
des Verdunpreises (1000 Thlr. in Gold und eine goldne Medaille), den 
Preis dem Werke Heinrichs v. Sybel „Die Begründung des Deutschen 
Reiches unter Wilhelm I.“ als dem besten während der letzten 5 Jahre
	        
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