64 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19./20.)
Unsinn, wir haben nicht die nötigen Kräfte dazu (Sehr richtig! links),
womit sie ja ein sehr unbegründetes Urteil über unsere deutsche Befähigung
fällen. Wir kritisieren, damit die bessernde Hand angelegt werde, und alle
die Kreise, welche gegenüber der Kolonialpolitik noch zurückhaltend sind,
sich damit befreunden. Ueber nationales Empfinden können wir mit den
Herren von der äußersten Linken nicht streiten; das wäre dasselbe, als
wollten wir mit einem Suahelineger deutsch sprechen. (Lachen links.) Ich
freue mich, daß die Herren um Herrn Richter eine wesentlich mildere Sprache
hören lassen. Hoffentlich kommt auch die Zeit, wo diese Herren, wenn sie
erst deutschen Kaffee aus Afrika trinken, sich mit unserer Kolonialpolitik
befreunden, wenn sie auch nicht gerade Schwärmer werden, wie wir es sein
sollen. Hoffentlich werden sie es dann unterlassen, das deutsche Kapital
immer wieder vor den Kolonien zu warnen. Wenn ein Weltblatt neulich
meinte, die Meutereien würden zur Besserung der Verhältnisse führen, so
müßte man schließlich Meutereien herbeiführen, um eine Besserung zu er-
zielen. Der Reichskanzler zieht diese Konsequenz nicht, aber er rechnet die
Meutereien zu den wirtschaftlichen Ausgaben. Aus den Worten des Reichs-
kanzlers habe ich entnommen, daß Remedur geschaffen werden soll durch
Abberufung des stellvertretenden Gouverneurs Leist. Eigentümlich ist es,
daß Wochen über Wochen vergangen sind, bevor wir über diese Vorgänge
unterrichtet waren, obgleich wir für 140 000 M. ein Kabel nach Kamerun
unterhalten. Die Peitschen sind angeblich eingetroffen; übrigens war es
nicht sehr geschmackvoll von Herrn Bebel, sie auf dem Tisch des Hauses
niederzulegen. Wenn diese Peitschen aus Kamerun stammen, dann muß
ich befürchten, daß Herr Bebel bereits dort Beziehungen hat; das könnte
mir die Freude an der ganzen Kolonialpolitik verderben. Die Vorgänge
beruhen darauf, daß Herr Leist die Natur der Neger nicht richtig verstanden
hat. Bei den Afrikaforschern ist es feststehender Grundsatz, Frauen möglichst
wenig zu prügeln, und auch die Männer nur wegen Insubordination; sonst
aber wegen Diebstahls u. s. w. werden Halseisen angelegt. Zur Arbeit
kann man die Frauen durch Prügeln nicht zwingen; sie haben ohnehin
viel zu thun, wenn sie auch die schmutzige Wäsche nicht zu waschen brauchen.
Das ganze System der Behandlung der Neger entspringt aus einer unglück-
lichen Sparsamkeit. Hätten die Neger ordentlichen Lohn erhalten können,
so hätte man nicht zum Prügeln zu greifen brauchen. Die Herren von
der Linken sind also wegen ihrer Sparsamkeit an dem Mißerfolge schuld.
Jetzt haben wir einen Schaden von mindestens 200 000 M. Uebrigens geht
aus dem Bericht hervor, daß die Revolte schon längst geplant war wegen
der Unzufriedenheit der Dahomeer mit der Bezahlung. Jetzt schickt man
den früheren Gouverneur Zimmerer wieder dorthin, bei dessen Abreise die
Kaufleute aufatmeten. Die Mißstimmung ging damals so weit, daß einige
Faktoreien Kamerun verlassen und sich anderswo ansiedeln wollten. Aber
man gibt diesem Herrn den Hauptmann Morgen zur Kontrolle mit, der
sich in Kamerun großer Zustimmung erfreut und den man ohne Zimmerer
sehr froh empfangen würde. Ganz entbehren können wir Militärs und
Assessoren nicht, aber der Kaufmann ist schließlich für die Kolonien wich-
tiger. Bei den Engländern verkehrt der Gouverneur ganz gentlemanlike
mit den Kaufleuten; das wünsche ich auch bei uns. Der Reichskanzler
warf Wißmann Unordnung in den Rechnungen vor. Für den Oberrech-
nungshof würde Wißmann nicht passen; aber er hat den deutschen Namen
groß gemacht, dem deutschen Ansehen ein solches Fundament geschaffen, daß
man diese seine Verdienste bei den Vorwürfen auch hätte erwähnen können.
Für die drei Kolonien können wir nicht ein einziges Programm aufstellen.
Aber für Kamerun war die Sicherung des Hinterlandes ein festes Pro-