Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 26.) 75
26. Februar. Der Bundesrat beschließt die Aufhebung
des Identitätsnachweises.
26. Februar. (Reichstag.) Erste Lesung des Handels- und
Schiffahrtsvertrages zwischen dem Reich und Rußland.
Abg. Graf Mirbach (dk.): Bei Gelegenheit des Handelsvertrages
mit Rumänien wies ich darauf hin, daß wir im Januar oder etwas später
in die Verhandlungen einer Vorlage eintreten würden, die von unendlich
viel größerer Bedeutung sein würde; diese Voraussage ist eingetroffen. Der
russische Handelsvertrag nimmt in der Handelsvertragspolitik den breitesten
Raum ein. Der berufenste Vertreter der verbündeten Regierungen, Herr
v. Marschall, hat zweimal mit großem Nachdruck darauf hingewiesen, daß
die Zustimmung zum Vertrage mit Rumänien nicht die Zustimmung zum
russischen Vertrage bedinge. Er hat gesagt: diese beiden Dinge müßten selbstän-
dig behandelt werden. Ich bin ihm dafür sehr dankbar. Zwischen unserer Stel-
lungnahme und den Personen der Regierung besteht kein Zusammenhang. Wir
vermeiden es, in die Prärogative der Krone einzugreifen; das überlassen wir
anderen Parteien. (Lachen links. Zuruf Rickerts: Herr v. Ploetz!I) Herr v. Moz
steht nicht in so verantwortlicher Stelle, wie ich hier. Sie können mir auch
Herrn v. Wangenheim nennen; der ist niemals Mitglied unserer Fraktion ge-
wesen. (Heiterkeit.) Wir stehen in einem scharfen Gegensatz zur wirtschaft-
lichen Politik des Reiches und die geistigen Waffen, mit denen gekämpft
wird, sind recht ungleich. Die Grenzen, welche uns gezogen sind gegenüber
Männern, welche auf Befehl S. Majestät hier stehen, sind sehr eng. Wir
müssen uns nach der Tradition unserer Partei einer großen Zurückhaltung
befleißigen. Ich meinerseits werde diese Linie nicht überschreiten. Ich
werde ohne Voreingenommenheit einen Rückblick werfen auf die Dinge,
welche vorliegen. Die verbündeten Regierungen können allerdings nicht
ganz ohne Bedenken der Abstimmung entgegensehen, wenn sie die Zahl der
Stimmen auf unserer Seite vergleichen mit der Abstimmung von 1891
(über den österreichischen Handelsvertrag). Die Zahl der Stimmen für uns
ist seitdem sehr erheblich gewachsen. (Sehr richtig! rechts.) Ein Druck auf
die Abstimmung ist nicht ausgeübt worden. Ich weiß aus Erfahrung, daß
ein solcher Druck das Gegenteil von dem bewirkt, was er beabsichtigt. Den
rumänischen Handelsvertrag hat man als einen Pyrrhussieg bezeichnet. So
weit gehe ich nicht, man müßte den russischen Vertrag nicht nach seinem
inneren Wert betrachten, sondern diesen inneren Wert als nebensächlich an-
sehen. Die Politik ist viel zu viel vermischt worden mit rein wirtschaft-
lichen Fragen. Die Handelspolitik sollte lediglich nach wirtschaftlichen
Rücksichten beurteilt werden. (Sehr richtig! rechts.) Beim Vertrag mit
Oesterreich und Italien hieß es, wir müßten unsere Verbündeten wirtschaft-
lich stärken. Ich acceptiere diese Prämisse nicht; aber wenn sie richtig ist,
dann folgt daraus, daß Rußland, welches den Dreibund am schwersten be-
droht, niemals wirtschaftlich gestärkt werden darf. (Sehr richtig! rechts.)
Fürst Bismarck, der allerdings mit einem Besitz von 1000 Aren verknüpft
war (Heiterkeit rechts), der aber doch einige Anerkennung im Volke er-
rungen hat, hat einmal kurz vor der Ankunft des Kaisers von Rußland
die Beleihung russischer Wertpapiere auf der Reichsbank verboten und den-
noch vollzog sich die Zusammenkunft des Kaisers von Rußland und des
deutschen Kaisers in bester Weise zu Gunsten Deutschlands. Also politisch
bestand das herzlichste Einvernehmen, während wirtschaftliche Maßregeln
dieser Art ergriffen wurden. Man sagt ja auch in russischen Blättern,
daß durch diesen Vertrag die politischen Verhältnisse zu Frankreich nicht