Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zehnter Jahrgang. 1894. (35)

80 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 26.) 
wenn die Preistendenz für landwirtschaftliche Produkte eine steigende wäre; 
da das Gegenteil der Fall ist, halte ich die Politik für verhängnisvoll, 
Wir sind in der Periode scharfer Konkurrenz der verschiedenen Produktions- 
gebiete. Frankreich hat seine Zollautonomie verteidigt und betrachtet sie 
als das wertvollste Gut. (Sehr richtig! rechts.) Das Deutsche Reich ist 
allerdings nicht in der Lage, für den einzelnen ein Erwerbsminimum zu 
firieren, aber es hat wohl die Macht, die größte Produktion zu sichern 
durch seine Gesetzgebung gegenüber der Konkurrenz des Auslandes. Wir 
werden die Notwendigkeit eines solchen Schutzes verteidigen bis zum letzten 
Atemzuge. (Beifall rechts.) Wir schlagen Ihnen vor, die Vorlage an eine 
ad hoc zu wählende Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen. (Bei- 
fall rechts.) 
Staatssekretär des Auswärtigen Amts Frhr. v. Mar- 
schall: Meine Herren, wenn der Herr Vorredner am Schlusse seiner Aus- 
führungen darauf hingewiesen hat, daß die Sozialdemokraten und Frei- 
sinnigen die Kerntruppen der verbündeten Regierungen bildeten bei dieser 
Vertragspolitik, so konstatiere ich die Thatsache, daß auch in den 80er Jahren 
zur Zeit der Zollpolitik, die der Herr Vorredner so sehr gerühmt hat, die 
Sozialdemokraten, die Freisinnigen jeweil geschlossen für alle die Verträge 
gestimmt baben, die damals vorgelegt worden sind, und mir ist nicht be- 
kannt, daß jemals von Seiten der Rechten diese Unterstützung mit irgend 
einem Zeichen der Entrüstung zurückgewiesen worden sei. (Sehr richtig! 
links.) Die Ausführungen des Herrn Vorredners und die scharfe Kritik, 
die er an Einzelheiten des Vertrages geübt hat, würden auf mich einen 
tieferen Eindruck machen, wenn er sich nicht gleichzeitig als ein prinzipieller 
Gegner aller Tarifverträge bezeichnet hätte, und damit die Ueberzeugung 
nicht feststände, daß, was auch Rußland uns hätte gewähren können als 
Ausgleich für unsere Konventionaltarife, der Herr Vorredner im wesent- 
lichen dieselbe Rede gehalten haben würde, wie er jetzt gethan. (Sehr gut! 
links.) Der geehrte Herr hat über ein sehr umfassendes Material verfügt 
und er hat eine Reihe von Gebieten in den Kreis seiner Erörterungen ge- 
zogen, bei denen es mir zweifelhaft ist, ob und inwieweit sie noch mit dem 
folgenden Vertrage in Zusammenhang stehen. Er hat sogar, als er von 
dem Bund der Landwirte sprach, den er sehr hübsch mit einem Kinde ver- 
glich, sich auf das Gebiet der Kindererziehung begeben, und, wie es scheint, 
Manches an der Erziehung auszustellen gehabt, was ich in keiner Weise in 
Abrede stellen will. (Sehr gut! links) Der Herr Vorredner hat auf eine 
Aeußerung hingewiesen, die ich gelegentlich der Beratung des rumänischen 
Handelsvertrages gethan habe, daß nämlich die Zustimmung zum rumä- 
nischen Handelsvertrage in keiner Weise ein Präjudiz bilde für den russischen 
Vertrag. An sich, meine Herren, würde es nichts Absonderliches sein, wenn 
ich, so lange die Verhandlungen mit einer fremden Macht noch im Laufe 
sind, öffentlich eine Aeußerung thue, die ich später wieder modifiziere. (Wider- 
spruch rechts.) Allein, meine Herren, ich halte diese Aeußerung voll und 
ganz aufrecht und erkläre hiermit, daß nach meiner Auffassung für die Mit- 
glieder des hohen Reichstages keine andere Verpflichtung vorliegt, als die, 
diesen Vertrag aus sich selbst sorgfältig zu prüfen, die Gründe und Gegen- 
gründe abzuwägen und dann das Votum nach ihrer Ueberzeugung abzu- 
geben. Einen anderen Druck als nach dieser Richtung werde ich niemals 
versuchen, auf den Reichstag auszuüben. Der Herr Vorredner hat dann 
auch das Gebiet der hohen Politik berührt. Ich möchte diese Thatsache 
konstatieren, daß bezüglich des russischen Bertrages die Initiative zu einer 
Besprechung politischer Fragen von Seiten derjenigen Herren ausgegangen 
ist, die bisher den Standpunkt vertreten haben, daß man politische und
	        
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