100 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 2.)
Der „Reichs-Anzeiger" schreibt im amtlichen Teile: „Fürst
Bismarck vollendet heute das achtzigste Lebensjahr. Die zahllosen Beweise
aufrichtiger Liebe und Verehrung, welche ihm aus diesem Anlaß von nah
und fern, von hoch und niedrig in den letzten Tagen und Wochen zu teil
geworden sind, legen Zeugnis davon ab, daß die Dankbarkeit für seine
unsterblichen Verdienste um Deutschlands Macht und Größe unauslöschlich in
den Herzen des deutschen Volkes eingegraben ist. Möchte den heißen Wünschen
für sein ferneres Wohlergehen, die heute überall, wo Deutsche zusammen-
wohnen, zu Gott emporsteigen, Erfüllung beschieden sein und Deutschlands
großer Sohn noch lange Jahre hindurch die Freude haben, das von ihm
im Dienste seines glorreichen Heldenkaisers geschaffene Werk der deutschen
Einheit immer mehr wachsen und sich befestigen zu sehen!“
Die (klerik.) „Köln. Volksztg.“ vergleicht die Bismarckfeier mit
der sozialdemokratischen Demonstration an den Gräbern der am 18. März
1848 in Berlin Gefallenen: „Wer die Massenbesuche im Friedrichshain (am
18. März) gesehen hat, dürfte ihnen — wenn er überhaupt politisches Ver-
ständnis hat — ungleich mehr Bedeutung zuschreiben, als den Bismarck-
kommersen der Bourgeoisie und ihres Anhangs.“
„Westfälischer Merkur (ultramontan): „Dem Mitbegründer und
ersten Kanzler des neuen Deutschen Reiches Fürsten Otto von Bismarck,
Herzog von Lauenburg, wollen auch wir zur heutigen Vollendung seines
80. Lebensjahres ein ehrlich gemeintes „Ad multos annos!“ zurufen. Möge
ihm — zu seiner eigenen Freude wie zur Freude der Seinen — in dem
stillen Burg= und Waldfrieden von Friedrichsruh, Varzin und Schönhausen
zu ungestörter Vorbereitung für die Ewigkeit noch ein langer Lebensabend
voll Ruhe, Frieden und Zufriedenheit beschieden sein, ein gerüttelt und ge-
schüttelt volles Maß von otium cum dignitate.
Der „Vorwärts“ schreibt über die Feier des 1. April: „Der
1. April 1895 war ein Ehrentag des deutschen Volkes. Alles, was Macht,
Reichtum und sonst materiellen Einfluß hat, mühte sich ab, den 80. Ge-
burtstag des schlimmsten Despoten der Neuzeit zu einem Volksfest zu machen.
Allein das Volk hat allen Demagogenkünsten — allen Ueberredungen und
Verlockungen widerstanden. Es überließ es seinen Feinden, vor ihrem
Häuptling auf dem Bauche zu rutschen, und nahm die Schmach nicht auf
sich, seine eigene Schande zu feiern. Die uns vorliegenden Nachrichten aus
allen Teilen von Deutschland stimmen darin überein, daß das Volk überall,
wo es eins gibt, sich dem Rummel ferngehalten hat.“
Von den freisinnigen Zeitungen veröffentlichen Huldigungsartikel u. a.
die „Voss. Ztg.“, „Weser Ztg.“, „Saale Ztg.“, „Danzg. Ztg.“,
„Frankf. Ztg.“, „Börsen-Courier".
2. April. (Friedrichsruh.) Fürst Bismarck empfängt eine
Deputation der Münchener unter Führung des Bürgermeisters, die
ihm den Ehrenbürgerbrief überreicht. Auf eine Ansprache er-
widert er:
„Meine Herren, ich bin Ihnen vom Herzen dankbar, daß eine so
angesehene Stimme wie die der Hauptstadt des mächtigen Bayernlandes sich
den Adressen, den Anerkennungen zugesellt, die ich am gestrigen und am heu-
tigen Tage erfahren habe und ich freue mich noch des Empfanges in München
vor drei Jahren, der schon ein Vorspiel der heutigen Auszeichnung war.
Ich freue mich, mit der Stadt wieder in nähere Berührung zu kommen
und auf diese Weise sagen zu können, daß ich wirklich Münchener Bürger
bin und als solcher mein Spatenbräu mit mehr bayerischem Bewußtsein