Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

256 Frankreich. (Mai 31.) 
31. Mai. (Senat.) Rede Hanotaux über die Beteiligung 
an der Nordostseekanalfeier, das Verhältnis zu Rußland und die 
armenische Frage. 
Beaumanoir (Noyalist) tadelt die Regierung, daß fie sich an der 
Kieler Feier beteiligen will und fordert Aufklärung über die ostafiatische 
Politik der Regierung und die Stellung zu Rußland. Minister des Aus- 
wärtigen Hanotaux: In der auswärtigen Politik Frankreichs sei keine 
Veränderung eingetreten. Man fragt uns, welche Gründe uns geleitet 
haben, bei der Regelung des chinesisch-japanischen Konfliktes jenen Weg zu 
gehen, den wir eingeschlagen haben, und knüpft selbst hieran ziemlich leb- 
hafte Kritiken. Der Senat wird mich sicher entschuldigen, wenn ich mich 
auf eine Debatte über die Einzelheiten nicht einlasse und wenn ich nicht 
Punkt für Punkt auf diese Kritiken erwidere, unter denen ich mehr als 
eine als unvollständige oder irrige Angabe bezeichnen könnte, aber ich nehme 
keinen Anstand zu erklären, daß die Regierung, als sie bei Japan einen 
freundschaftlichen Schritt unternahm, bei dem sie sich mit anderen euro- 
päischen Mächten zusammenthun konnte, sich in erster Linie von den Inter- 
essen unseres Landes leiten ließ. Die Stellung, welche wir im äußersten 
Osten sowohl in Folge der Entwicklung unserer Besitzungen in Indo-China 
als auch in Folge unseres Protektorats über die katholischen Missionen 
ausüben, macht uns eine besondere Wachtsamkeit über Alles, was die Exi- 
stenz des großen chinesischen Reiches bedroht, zur Pflicht. Wenn dieses 
Reich zerstückelt würde oder wenn es starke Wirren zu bestehen hätte, so 
würden wir sicherlich zuerst die Wirkungen der Unordnung und Anarchie 
spüren, welche solche Ereignisse in jenem Weltteil hervorrufen würden. 
Es lag demnach in unserem Interesse, als Nachbarn Chinas und als Freunde 
eines dauernden Friedens, daß bei Beendigung des Krieges ein Zustand 
geschaffen würde, der den Bestand und die Unabhängigkeit des himmlischen 
Reiches nicht bedroht. Nun konnte man doch fürchten, daß eine dauernde 
Okkupation, welche gerade das Herz Chinas bedroht, eine Verschiebung 
seiner Zersetzung herbeiführen würde, deren Wirkungen wir hätten empfinden 
müssen. Dieser Gedanke war nicht nur der unserige, sondern wurde geteilt 
von anderen Mächten, welche in gleicher Weise eine wichtige Stellung im 
äußersten Osten zu wahren haben. Rußland ist, wie wir, Chinas Nachbar 
und hat, wie wir, die ernstesten Interessen daran, daß an dem status quo 
des Kontinentalbesitzes Chinas nichts geändert wird. In diesem Punkt, wie in 
den übrigen sind die Interessen Rußlands und Frankreichs dieselben, und sie 
find ebensowohl durch die Natur der Dinge, wie durch die zwischen beiden 
Ländern hergestellten Beziehungen und durch den übereinstimmenden Willen 
ihrer Regierungen fest verbunden. Die Interessen Deutschlands, obgleich 
ohne territorialen Charakter, schienen der deutschen Regierung analoger Art 
zu sein, und so ging die deutsche Regierung vereint mit den anderen 
Mächten vor. Aus nicht weniger ernsten Gründen schloß sich Spanien an. 
Das gemeinsame Vorgehen, zu welchem diese Mächte sich entschlossen, ist in 
der That auf einen Meinungsaustausch mit Japan beschränkt gewesen, und 
diese Nation, die mit Recht auf ihre Siege stolz war, hat sich mit einer 
Weisheit, der ich besondere Achtung zu zollen mich gedrungen fühle, den 
freundschaftlichen, ihr erteilten Ratschlägen gefügt. Das Ergebnis dieses 
gemeinsamen Vorgehens ist die Aufrechterhaltung der Existenz und Unab- 
hängigkeit Chinas gewesen, und die erste so gewonnene Uebereinstimmung 
berechtigt uns, einen günstigen Ausgang für die weiteren noch schwebenden 
Verhandlungen zu erhoffen. 
Ueber die armenische Frage sagt der Minister: Hier trat eine 
  
 
	        
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