20 Das Pentsthhe Reich und seine einzelnen Slieder. (Jan. Ende —Febr. 1.)
rechtlichen Verpflichtungen und mit den Staatsinteressen verträglich erscheinen.
Eine allgemeine Verpflichtung könne sie jedoch um so weniger übernehmen,
als der Grundsatz, daß die Verhandlungen des Bundesrats nicht öffentlich
sein sollten, dadurch verletzt würde. (31. Jan.). Die Kommission und die
Kammer erklärt den Antrag durch diese Erklärung für erledigt. (15. Febr.).
Ende Januar. Februar. Agitation zur Verstärkung der
deutschen Flotte.
In der Presse und in Versammlungen wird unter Anknüpfung an
den deutsch-englischen Konflikt in der Transvaalfrage lebhaft für eine be-
deutende Vergrößerung der Flotte, etwa durch Aufwendung von 2—300
Millionen Mark agitiert. An der Spitze stehen kolonialfreundliche Kreise,
so der frühere Reichskommissar Dr. Karl Peters, und der Alldeutsche
Verband. Es wird eine freiwillige Sammlung von Geldern zum Bau von
Schiffen angeregt. Hier und da wird behauptet, der Kaiser sei für die
Verstärkung der Marine, aber der Reichskanzler wolle eine derartige Vor-
lage als aussichtslos nicht einbringen, so daß es zu einer Verstimmung
zwischen Kaiser und Kanzler gekommen sei.
Für die Verstärkung erklären sich nachdrücklich u. a. die „Preuß.
Jahrbücher“, die „Kreuz-Ztg.“, die „Tägl. Rundschau“, die „Hilfe“.
Die freisinnigen Zeitungen erklären sich sämtlich, auch manche mittelpartei-
liche, z. B. die „Köln. Ztg.“" gegen solche „uferlosen“ Flottenpläne. Nach
der sezess. „Weser-Ztg.“ ist der Hauptzweck der Flottenagitation, den
Kaiser von seinen besonnenen Ratgebern zu trennen und agrarisch-bimetalli-
stische und koloniale Heißsporne an ihre Stelle zu bringen.
1. Februar. (Berlin.) Austritt des Hofpredigers a. D.
Stöcker aus der konservativen Partei.
Seit dem Jahre 1895 bestand zwischen Stöcker und dem Gros der
konservativen Partei ein tiefer Gegensatz. Zum Teil hatte sein Brief an
Hammerstein vom 14. August 1888 (vgl. 1895 S. 180) viele Parteigenossen
gegen ihn eingenommen, vor allem aber wurden seine sozialpolitischen An-
schauungen gemißbilligt. Es wurde ihm vorgeworfen, daß er sich nicht
entschieden genug gegen die Anhänger Naumanns (vgl. 1895 S. 324) aus-
gesprochen habe, und daß er enge Beziehungen zu der Berliner Zeitung
„Das Volk“ unterhalte, das in der letzten Zeit eine radikale christlich-
soziale Haltung eingenommen und die konservative Partei mit großer Ge-
hässigkeit angegriffen habe. Der geschäftsführende (Elfer-)Ausschuß der
konservativen Partei des Abgeordnetenhauses erklärte es daher für unver-
träglich mit den Interessen der konservativen Partei, daß Stöcker als Mit-
glied des Elferausschusses Beziehungen zum „Volk“ unterhalte und forderte
ihn auf, entweder bis zur nächsten Sitzung eine Aenderung in der Haltung
dieses Blattes herbeizuführen oder seine Verbindung mit ihm zu lösen
(16. Januar). In der nächsten Sitzung (1. Febr.) erklärte Stöcker, er
mißbillige zwar entschieden sowohl die Bewegung der jüngeren Christlich-
Sozialen wie die Kampfesweise des „Volk“, aber er könne seine Beziehungen
zu dem Blatte nicht ganz abbrechen, da es unter seiner Mitwirkung zur Ver-
breitung konservativer Grundsätze gegründet sei und auch in vielen Dingen
gesunde soziale Anschauungen vertrete. Er werde sich bemühen, die gegen-
wärtige maßlose Sprache des Blattes zu zügeln. Da der Ausschuß trotz
dieser Erklärung auf einer öffentlichen Trennung Stöckers vom „Volk“ be-
stand, erklärte Stöcker seinen Austritt aus dem Elferausschuß und der kon-
fervativen Partei.
Hieran knüpfen sich lange Preßerörterungen. Den Standpunkt der