Großbritannien. (August Ende —September Anf.) 245
Gesamtreiches mit meinen Kolonien solche fiskalische Abkommen zu treffen,
wie sie mir als ratsam erscheinen. Mit Menelik, dem Kaiser von Abessynien,
habe ich einen Handels- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen. Die An-
wesenheit der Vertreter der Kolonien und des Indischen Kaiserreiches bei
der Feier des 60. Jahrestages meiner Regierung hat dazu beigetragen, das
Band der Union zwischen allen Teilen des Reiches zu festigen, die fiskalische
Gesetzgebung in Kanada und der Beitrag der Kap-Kolonie zur Reichsflotte
geben einen neuen Beweis der Anhänglichkeit der Kolonien an das Mutter-
land.“ Die Thronrede schließt mit dem Ausdruck des tiefen Schmerzes,
welchen die Königin über die Hungersnot in Indien empfindet, wobei sie
darauf hinweist, daß die Pest heute fast gänzlich erloschen scheint.
Ende August. Preßstimmen über den Besuch des franzöfi-
schen Präsidenten in Rußland.
Die „Times“ sagt in einem Artikel über die franzöfisch-russische
Allianz, Frankreich sei nicht nur in den Stand gesetzt, den Dreibund mit
Gleichmut anzusehen, sondern es könne sogar das Gefühl haben, daß diese
berühmte Kombination selbst viel von ihrer Festigkeit verliere. Der kon-
servative Charakter des Zweibundes brauche England nicht blind zu machen
gegen die Thatsache, daß der Zweibund durch seine bloße Existenz und noch
mehr durch seine öffentlich zugestandene Existenz die Verteilung der Macht
in Europa ändert. Die Erklärungen an Bord des „Pothuau“ machten der
Vorherrschaft — das Wort Diktatur dürfte nicht zu stark sein ein Ende,
die in Europa auszuüben im letzten Viertel dieses Jahrhunderts Deutsch-
lands Ehrgeiz war. Die liberale „Daily News“ schreibt: „Der schließ-
liche Gewinner bei der französisch-russischen Allianz ist Deutschland. Die
Sache mag auf den ersten Augenblick paradox erscheinen, aber die europäische
Lage stellt sich jedenfalls klar dar. Das „Journal des Débats“ meint, daß
Präsident Faure mit einem niedergeschriebenen Vertrag von Rußland zurück-
kehren werde. In dieser Hoffnung mögen sich alle Freunde des europäischen
Friedens vereinigen. Ein Petershofer Vertrag würde thatsächlich den
Frankfurter Frieden garantieren. Sollte dies jemand bezweifeln, so sollte
ihn die Thatsache belehren, daß der Besuch des Kaisers von Deutschland
dem des Präsidenten Faure vorausgegangen ist. Wenn Rußland die Hand
mit Frankreich schüttelt, so meint es damit keine Feindschaft gegen Deutsch-
land. Im Gegenteil, wenn Frankreich Rußland die Hand gibt, so hat
Frankreich alle Rachegedanken aufgegeben. Diese Idee war allen aus-
wärtigen Beobachtern längst klar. Jetzt scheint sie auch in Frankreich
Boden zu finden."“
Anf. September. Die Regierung veröffentlicht das Protokoll
der Konferenzen zwischen dem Kolonialminister Chamberlain
und den Ministern der Kolonien während der Jubiläumswoche.
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ berichtet darüber: Das Hauptstück der
Veröffentlichung ist Chamberlains sehr sorgfältig ausgearbeitete Rede, welche
im Wortlaut mitgeteilt wird. Der Inhalt kann als eine Art Verfassungs-
entwurf für ein künftiges britisches Föderativreich bezeichnet werden. Der
Minister sprach zuerst von der politischen Vereinigung des Mutterlandes
und der Kolonien. Als die eigentliche Grundlage der Einheit und des
Zusammenhaltens bezeichnet er das gemeinsame Nationalgefühl. Doch find
auch äußere Institutionen vonnöten, um dieses Gefühl zu festigen und
seiner Bethätigung die richtigen Bahnen zu weisen. In England, meinte
Chamberlain, liege der Gedanke der Reichsföderation in der Luft. Wie