Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glicder. (Februar 23.) 51
zu zahlen hätten, als sie an Ueberweisungen erhalten. Daß die Ueberwei-
sungspolitik in dem bisherigen Umfange nicht fortgeführt werden kann im
Reiche, ergibt sich zunächst aus den fortdauernd steigenden Aufwendungen,
die das Reich für seine militärische Verteidigung zu Land und zu Wasser
zu machen genötigt ist. Ferner find seit dem Zeitpunkte, wo im Reich
die Ueberweisungspolitik eingeführt wurde, zwei ganz neue Ausgabeposten
entstanden, die ebenfalls von Jahr zu Jahr steigen: erstens die Aufwen-
dungen für die soziale Gesetzgebung und zweitens diejenigen für unsere
Kolonialpolitik. Ich halte es doch für nützlich, meine Herren, Ihnen hier
einmal einige Zahlen mitzuteilen, die nach dieser Richtung über unsere
Finanzgebarung in den letzten 10 Jahren von mir zusammengestellt find.
In dem abgeschlossenen Rechnungsjahr 1895/96 betrug der von dem Be-
harrungszustande noch sehr weit entfernte Zuschuß zu den Alters= und In-
validitätsrenten rund 17 Millionen. Der gleichzeitig durch die Schutz-
gebiete veranlaßte Aufwand dürfte rund 8 Millionen überschreiten. Die
im ordentlichen Etat gedeckten Kosten der Landesverteidigung sind in de'in
Dezennium 1885/86— 1895/96 für den Kopf der Bevölkerung von 8,90 4
auf 13,41 44, das ist um 50,67 Proz., gestiegen. Die Ausgaben des ge-
samten ordentlichen Etats, ausschließlich der durchlaufenden Posten der Be-
triebsverwaltungsansgaben und Fehlbeträge, haben von 9,39 auf 15,10 J,
das ist in einem 10 jährigen Zeitraum um 60,81 Proz., zugenommen.
Hinter dieser rapiden Steigerung der Ausgaben bleibt die natürliche Zu-
nahme der Einnahmen weit zurück. Es läßt sich allerdings eine ganz er-
schöpfende Uebersicht zwischen den Jahren 1885/86 und 1895/96 deshalb
nicht aufstellen, weil inzwischen eine Reihe von Veränderungen in der
Steuergesetzgebung stattgefunden haben; aber immerhin läßt sich die Stei-
gerung der Einnahmen zu derjenigen der Ausgaben doch für eine Anzahl
von Steuern feststellen. So ist für den Kopf der Bevölkerung der Kaffee-,
Petroleum-, Tabaks., Salzzoll, sowie das Aufkommen an Tabaks= und
Salzsteuer in dem 10jährigen Zeitraum von 3,48 auf 3,98, also um 14,29
Proz., die Biersteuer von 0,61 auf 0,79, d. h. um 29,42 Proz., die Wechsel-
stempelsteuer von 0,14 auf 0,17, also um 18,16 Proz. und der reine Ueber-
schuß der Betriebsverwaltungen (der Post, der Reichseisenbahnen und der
Reichsdruckerei) von 0,83 auf 0,98, also um 17,46 Proz. gestiegen, die Ein-
nahmen aus den vorgenannten Abgaben zusammen sind von 5,06 auf 5,91,
d. h. um 16,74 Proz. gestiegen. Während dieselben 1885/86 mit 225 Mil-
lionen rund 51,15 Proz des ordentlichen Ausgabebedarfs von 439907543./%
darstellten, reichen die im Rechnungsjahre 1895/96 aufsgekommenen rund
297 Millionen nur noch zur Deckung von 37,63 der entsprechenden Ausgaben
hin. Demgegenüber steht aber eine wachsende Verschuldung des Reichs.
Die Bundesstaaten haben im letzten Jahrzehnt an Mehrüberweisungen rund
405 Millionen empfangen. Während dieses Zeitraumes hat sich die für
nicht werbende Zwecke aufgenommene Schuld des Reichs um 1600000 -K
und die Zinslast dafür um jährlich 52 Millionen erhöht, also nicht ein-
mal die Deckung der Zinsen wäre ohne Einführung neuer, bezw. Erhöhung
der bestehenden Abgaben möglich gewesen. Ich bitte um Entschuldigung,
daß ich Sie mit diesem Zahlenmaterial in Anspruch genommen habe, glaube
aber, diese Zahlen sind an sich so sprechend, daß sie den exakten Beweis
führen, daß die Ueberweisungspolitik in dem bisherigen Umfange unter
keinen Umständen mehr aufrecht zu erhalten ist. Demgegenüber darf man
aber nicht vergessen, daß die verbündeten Regierungen sich in dem gesetz=
lichen Recht des Besitzes der Ueberweisungssteuern befinden und daß es zu
einer Einigung mit den verbündeten Regierungen nur kommen kann, wenn
zwischen diesem ihrem Recht auf die Ueberweisungssteuern und dem unbe-
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