Das Vernsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 23.) 53
Gestaltung der Reichsfinanzen nimmt. Denn würde der Etat für das Jahr
1899/1900 nicht vorsichtig aufgestellt, so könnten die Bundesstaaten nach
diesem § 2 eventuell in die Zwangslage kommen, in jenem Jahre mehr
Matrikularbeiträge zahlen zu müssen, wie sie im Jahre 1897/98 an Mehr-
überweisungen erhalten haben. Aus dieser Gefahr, die für die Bundes-
staaten immerhin noch verbleibt, folgt meines Erachtens eine gewisse Be-
rechtigung der Bundesstaaten, daß sie wenigstens soweit gegen höhere Ma-
trikularbeiträge geschützt werden, wie das der § 2 des Gesetzentwurfs vor-
gesehen hat. Mit anderen Worten — wenn ich einen plastischen Vergleich
wählen darf — will der § 2 zwischen den erhöhten Bedarf des Reichs und
die dementsprechend zu erhöhenden Matrikularbeiträge einen Puffer schieben
in der Weise, daß, wenn die Matrikularbeiträge höher find wie die Mehr-
überweisungen, welche die Bundesstaaten thatsächlich wieder herausgezahlt
haben, zunächst der Betrag zur Deckung des Defizits verwendet wird, den
das Reich von den Bundesstaaten zur Schuldentilgung aus den Ueberwei-
sungssteuern erhalten hat Man kann ja gegenüber diesem Gesetzentwurf
auch eine reiche Fülle von Kasuistik üben; man kann sagen, es bestünde
immer noch die theoretische Möglichkeit, daß selbst die Ueberweisungssteuern
hinter ihrem etatsmäßigen Ansatz zurückbleiben; man kann ferner sagen,
entweder die Bundesregierungen oder der Reichstag könnten die Matrikular-
beiträge oder die Ueberweisungen so veranschlagen, daß entweder die Bundes-
regierungen mehr an Matrikularbeiträgen zu zahlen haben, oder das Reich
den Betrag wieder herauszuzahlen hat, den es zur Schuldentilgung ver-
wendet hat. Meine Herren, ich glaube aber, diese Kasuistik fällt mit dem
einfachen Einwande, daß es sich nur um ein Gesetz für ein Jahr handelt,
und daß dieses Gesetz nur gemacht wird auf Grund eines Etats, den die
Bundesregierungen beschlossen haben, und den festzustellen in Ihrer Macht-
vollkommenheit liegt. Man hat auch darauf hingewiesen, daß es doch
eigentlich nicht zu rechtfertigen wäre, daß man zwei Rechnungsjahre in
einem Gesetz mit einander verkoppelt, daß man das Jahr 1897/98 verkop-
pelt mit dem Rechnungsjahr 1899/1900, dessen finanzielle Verhältnisse man
noch gar nicht übersehen könne. Ja, meine Herren, wenn man nicht eine
solche Verkoppelung bei einem solchen Eelegenheitsgeset, oder in einer
dauernden Finanzreform beliebt, dann wird man den Bundesstaaten nie
die Sicherheit für die Aufstellung ihrer eigenen Etats geben können, die sie
beanspruchen müssen. Außerdem ist der Vorgang ja kein neuer; er ent-
spricht dem Artikel 70 der Reichsverfassung, in dem ausdrücklich gesagt ist,
daß die Ueberschüsse des Vorjahres in den Etat des nächsten Jahres ein-
zustellen find. Anders können Sie es auch gar nicht machen; denn wie
viel Mehrüberweisungen das Jahr 1897/98 ergeben wird, und welcher Ueber-
schuß aus der eigenen Wirtschaft des Reiches des Jahres 1897/98 erfließt,
wissen wir erst beim Finalabschluß im Juni 1898. Wir können deshalb
über diese Summe erst verfügen für den Etatentwurf des Jahres 1899/1900.
Ich meine, man könnte auch sagen, wenn man Furcht vor dem sogenannten
Automaten hat, — ich teile diese Furcht nicht, ich erkenne überhaupt die
Bezeichnung als zutreffend nach keiner Richtung an, aber ich will mich ein-
mal auf diesen Standpunkt stellen — könnte sagen: dieses Gelegenheitsgesetz
ist gefährlich; denn es enthält den Keim für eine künftige Finanzreform.
Ich meinerseits würde es für kein Unglück halten, wenn zunächst ein solches
Gesetz mit dem Etatsentwurf dem Reichstag alljährlich vorgelegt, mit ihm
vereinbart würde, und wenn sich durch diese Praxis das Verständnis für
das Wesen der Finanzreform auch weiteren Kreisen außerhalb des hohen
Hauses mitteilte; denn ich bin der Ansicht: alle die Angriffe, die man gegen
die Reichsfinanzreform von außen her gerichtet hat, beruhen lediglich darauf,