Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechzehnter Jahrgang. 1900. (41)

Kurie. 
344 Nebersicht der pelitischen Entwickelung des Jahres 1900. 
aufregenden Kämpfen und bei der Sommerhitze nicht mehr fähig: 
nach der Erledigung des Budgetprovisoriums vertagte fie sich. 
Die allgemeine politische Stille wurde unterbrochen durch die 
Ermordung des Königs, die aufs neue bewies, wie stark der An- 
archismus in Italien verbreitet ist und wie wenig die parlamen- 
tarische Regierung fähig ist, durch soziale Reformen den Geist des 
Umsturzes zu bannen oder durch polizeiliche Uüberwachung im Zaum 
zu halten. Eine Anderung in der Regierung hatte der Thron- 
wechsel nicht zur Folge, da der neue Monarch das Ministerium im 
Amte beließ. Fruchtbare gesetzgeberische Arbeit hat Saracco freilich 
so wenig wie Pelloux leisten können. Er entwarf zwar ein um- 
fangreiches Programm, das soziale, politische, administrative, finan- 
zielle und juristische Reformen in Fülle verhieß, aber es scheint, 
daß ihm das Parlament nicht auf dem Wege folgen wird: die einen 
verlangen vor allen Dingen eine Steuerreform zur Entlastung der 
Bevölkerung, die anderen erklären eine Steuererleichterung bei der 
Finanzlage für unmöglich. Ein ungünstiges Vorzeichen war, daß 
der Schatzminister wegen Differenzen mit der Kammer seinen Ab- 
schied nahm. Das einzige, was die Kammer seit ihrem Zusammen- 
tritt geleistet hat, ist die Verabschiedung eines Gesetzes zum Schutze 
der Auswanderer. Es soll hierdurch das Auswanderungswesen 
staatlich geleitet werden; ein Auswanderungskommissariat im Mi- 
nisterium des Auswärtigen verhandelt mit fremden Staaten im 
Interesse der italienischen Einwanderer, errichtet im Auslande be- 
sondere Erkundigungsstellen und überwacht die Vorgänge in den 
heimischen Häfen und auf den Auswanderungsschiffen. 
Die Beziehungen zwischen Vatikan und Ouirinal sind durch 
den Tod König Humberts in keiner Weise verändert. Der Papst 
hat mehrere Geistliche, die den Wünschen der Staatsbehörden in 
den Leichenfeiern entgegengekommen, gemaßregelt und seinen Stand- 
punkt, daß die Herrschaft des Königtums in Rom eine Usurpation 
sei, in mehreren Kundgebungen aufs schärfste betont. Die Bei- 
setzung des Königs im Pantheon wurde als „geduldet“ bezeichnet. 
Einen äußeren Erfolg hatte die Kurie im Jubiläumsjahre 1900 
durch die Pilgerzüge nach Rom; etwa eine halbe Million Pilger 
sind nach verschiedenen Berechnungen in Rom eingetroffen. Anti-
	        
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