28 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 8./10.)
stiegen; der Wert unsrer Einfuhr an Rohprodukten für die Industrie hat
in den zehn Jahren 500 Millionen Mark betragen; die Einfuhr von
Fabrikaten stieg nur um 22 Millionen Mark, die Ausfuhr in demselben
Zeitraum um 300 Millionen Mark; die Steigerung der Ausfuhr an
Fabrikaten hat also in einem Jahr noch 8 Millionen Mark mehr betragen
als die gesamte Einfuhr von Fabrikaten in zehn Jahren. Nun kann man
einwenden: alle diese Zahlen handeln von der gesamten Ein- und Ausfuhr
und nicht bloß von der See-Einfuhr oder Ausfuhr; aber auch ein großer
Teil der Landeinfuhr ist See-Einfuhr; im ganzen gehen 70 Prozent der
Ein- und Ausfuhr über See. Was würde aus Deutschland, aus der
Lebenshaltung des deutschen Volkes werden in dem Augenblick, wo der
deutschen Industrie die Rohstoffe nicht mehr zugehen können, die sie braucht,
und wo wir unsere Fabrikate nicht mehr sicher über See befördern können?
Man fürchtet eine nachteilige Wirkung der Flottenvermehrung auf Süd-
deutschland; das ist ein Irrtum. Die Baumwollen- und Wollenwaren-
fabrikation in Süddeutschland ist hauptsächlich auf die Einfuhr aus Amerika
und Australien angewiesen, die süddeutsche Maschinenfabrikation setzt nach
dem Ausland für über 30 Millionen jährlich ab, wovon ein großer Teil
über See geht, die Spielwarenindustrie ist ebenso an dem Export über
See ganz hervorragend beteiligt; die chemischen Werke dort liefern ein
Sechstel aller in Deutschland hergestellten Produkte nach allen Ländern der
Erde. Diese Tatsachen beleuchten das erhebliche Interesse, welches auch
Süddeutschland an der Erhaltung der überseeischen Verbindung hat. Wie
stellt sich nun der Schutz der Reedereien anderer Staaten gegenüber dem
Schutz, den die deutsche Marine zur Zeit gewährt? In Deutschland kommt
1 Tonne Kriegsflotte auf 7.58 Tonnen Handelsflotte, in Amerika schon auf
5, in Italien schon auf 2, in Rußland sogar schon auf 1.72 Tonnen; in
England ist allerdings das Verhältnis 1: 8.15, aber England kann schon
deswegen nicht in Betracht kommen, weil es die absolut stärkste Kriegs-
flotte und Handelsflotte hat. Und wie steht es mit der finanziellen Be-
lastung? In Preußen hat sich das Einkommen stärker als die Bevölkerung
vermehrt; legt man das Verhältnis der Steigerung der preußischen Ein-
kommen der Steigerung in ganz Deutschland zu Grunde, so würde sich das
Einkommen im Reiche von 1892— 1899 um etwa 1¾ Milliarden ver-
mehrt haben.
Abg. Richter (fr. Vp.): Die Flottenbestrebungen stammen nicht
wie die Einheitsbestrebungen von unten, sondern von oben; Ordensstreberei
sei wesentlich maßgebend gewesen. Wenn dieser Flottenplan ausgeführt
ist, wird die Marine auch im Frieden mehr Soldaten haben, als die ge-
samte deutsche Handelsflotte. Die uns zugestellte Denkschrift weist die
Steigerung des Seeverkehrs von 1896 —1899 nach. Diese Steigerung hat
sich vollzogen in einer Zeit, wo man gerade von seiten der Regierung be-
weglich klagte über Kreuzernot u. s. w. Diese Ausdehnung ist auch keine
selbständige Erscheinung des Seeverkehrs, sondern hängt zusammen mit dem
ganzen wirtschaftlichen Aufschwunge Deutschlands überhaupt, mit einer
Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung, einer Steige-
rung des Konsums, welche ihrerseits befruchtend auf andere Industrien
einwirkte. Wer die See beherrscht, beherrscht den Handel und seine
Schätze, hieß es. Aber England beherrscht doch die See und es hat in
dem Seeverkehr von 1896— 98 nicht so zugenommen; dasselbe gilt von
Frankreich, und das beweist, daß jener Satz geradezu falsch ist. Soll eine
neue Schlachtflotte die Konkurrenz erleichtern: Ach nein, die Einmischung
der Seemacht kann gerade das Selbstgefühl der anderen Nationen, die
nationale Eifersucht wachrufen und so die Konkurrenz Deutschlands schä-