4 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 9.)
Mißstände zu mildern und namentlich dem Wohnungsbedürfnisse der minder
bemittelten Klassen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. Die Heranziehung
gewerblicher Unternehmungen zu Vorausleistungen für den Wegebau soll
für die ganze Monarchie thunlichst einheitlich und gleichmäßig geregelt
werden. Ein hierauf gerichteter Gesetzentwurf wird Ihnen voraussichtlich
noch in dieser Tagung unterbreitet werden können. Auf dem Gebiete des
Medizinalwesens wird Sie eine Vorlage zur Ausführung des Reichsseuchen-
gesetzes beschäftigen. Die besonders geartete Entwicklung der Haupt- und
Residenzstadt Berlin und ihrer größeren Vororte, die bereits im vorigen
Jahre zu einer Umgestaltung der polizeilichen Verwaltung geführt hat,
läßt eine den örtlichen Verhältnissen angepaßte Neuordnung auch auf den
übrigen Gebieten der allgemeinen Landesverwaltung erforderlich erscheinen.
Ihre Mitwirkung hiezu wird erbeten werden. Meine Herren! In wenigen
Tagen werden zwei Jahrhunderte vollendet sein, seitdem das Königreich
Preußen erstand. Diese Erinnerung mahnt uns, festzuhalten und auszu-
bauen, was in langer und schwerer Arbeit, unter der Führung ruhmreicher
Fürsten, für Preußens Größe und Wohlfahrt errungen ist. Seine Majestät
der König ist sicher, daß es hiezu an der hingebenden und verständnisvollen
Mitwirkung des preußischen Volkes und seiner verfassungsmäßigen Ver-
tretung niemals fehlen wird. Seine Majestät hofft, daß es mit Gottes
Hilfe Ihnen gelingen möge, auch die bedeutsamen Aufgaben der kommenden
Session zu glücklicher Erledigung zu führen. Auf Befehl Seiner Majestät
des Kaisers und Königs erkläre ich den Landtag der Monarchie für eröffnet.
9. Januar. Der Reichstag verweist den Gesetzentwurf über
das Urheberrecht an Werken der Litteratur und der Tonkunst und
den Gesetzentwurf über das Verlagsrecht nach zweitägiger Beratung
im Plenum an eine Kommission.
9. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Ein-
führungsrede Bülows; wirtschaftliches Programm. Vorlegung des
Etats.
Ministerpräsident Graf Bülow:
Vom König zum Ministerpräsidenten ernannt, möchte ich die erste
Gelegenheit ergreifen, welche sich mir bietet, mich dem hohen Hause vor-
zustellen und dasjenige Entgegenkommen und Wohlwollen zu erbitten, dessen
es bedarf für eine ersprießliche Leitung der Geschäfte des Landes. Es ist
nicht meine Absicht, mein Zusammenwirken mit Ihnen damit einzuleiten,
daß ich hier ein Programm aufstelle. Aber eines möchte ich schon heute
sagen. Nach meiner politischen Gesamtauffassung betrachte ich es als
vornehmste Aufgabe der Regierung, in dem einstweilen sich noch immer
lebhafter gestaltenden Kampfe der wirtschaftlichen Interessen die vorhandenen
Gegensätze nach Möglichkeit zu versöhnen und zwischen den verschiedenen
Interessen einen möglichst gerechten Ausgleich herbeizuführen. (lebhafter
Beifall.) und ferner diejenigen zu stützen, die aus eigener Kraft sich nicht
helfen können. (Lebhafter, allseitiger Beifall.) Ich weiß wohl, daß eine
solche vermittelnde Politik, die keine produktive Thätigkeit einfach auf Kosten
der anderen begünstigen will und die bei wirtschaftlichen Maßnahmen
fragt, wie weit dadurch die Lebensbedingungen anderer tangiert werden,
mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft ist. Ich weiß, daß solche aus-
gleichende Politik, die auf augenblickliche Erfolge verzichten muß, um
dauernde Wirkungen zu erzielen, hier und da Mißdeutungen ausgesetzt sein
kann. Ich weiß sehr wohl, daß sich der Gedanke der Zusammengehörigkeit