Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

           Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14./16.) 9 
verpachtungen seien um 25 Proz. gesunken. Die Einbringung der Kanal- 
vorlage sei bedauerlich, sie solle aber unbefangen beurteilt werden. Abg. 
Richter (frs. Vp.) kritisiert die Regierung scharf; an eine dauernde un- 
günstige Konjunktur glaube er nicht. Die Kanalvorlage dürfe nicht abgelehnt 
werden. Der ganze Etat sei zugeschnitten auf Ueberschüsse und Reformen 
blieben aus wegen Sparsamkeitsrücksichten. Die Theaterzensur müsse be- 
seitigt werden. 
              Finanzmin. v. Miquel: Graf Limburg meint, meine günstige 
Schilderung der Finanzlage habe den Zweck, das Durchbringen der Kanal- 
vorlage zu erleichtern. Ich bin mir mit meinen früheren Schilderungen 
der Finanzlage, wobei ich immer vor einem Rückschlag gewarnt habe, und 
meiner jetzigen günstigen Schilderung vollkommen konsequent geblieben. 
Damals mußte ich davor warnen, den wirtschaftlichen Aufschwung zu 
überschätzen, da sonst dauernde Nachteile für die Staatsfinanzen kommen 
könnten, ich mußte dem Ansturm gegen die Staatsfinanzen, dem Drängen, 
die Ausgaben zu erhöhen und neue Ausgaben dem Staate aufzuerlegen, 
widerstehen, ich mußte naturgemäß darauf hinweisen: Glauben wir nicht, 
daß diese hohen Ziffern der Einnahmen dauernd bleiben werden, und hüten 
wir uns, dauernde Ausgaben auf den vergänglichen Einnahmen zu basieren. 
— Heute ist die Lage eine andere, heute geht die wirtschaftliche Entwicklung 
rückwärts, und es können daraus leicht allzu pessimistische Erwägungen 
hergeleitet werden. Es liegt aber im Staatsinteresse, daß eine solche 
Direktive der geschäftlichen Entwickelung nicht nach der ungünstigen Seite 
hin übertrieben wird. Die Politik der Vorsicht und des Denkens an die 
Zukunft hat das Hohe Haus im Gegensatz zum Abg. Richter gebilligt und 
uns sicher gemacht gegen allzu starke Rückschläge, die den Finanzen gefährlich 
werden könnten. Es ist doch für uns tröstlich, daß wir nicht nach dem 
Rate des Herrn Richter in der Vergangenheit die Früchte einer vorüber- 
gehenden Zeit verzehrt, sondern daß wir Reserven thesauriert haben, die 
in schweren Zeiten zur Verfügung stehen. Die Politik des Abg. Richter 
ist die Politik des Unternehmers, der hohe Einnahmen einer Hausseperiode 
für sich verbraucht und keine Reserven hat, wenn die Einnahmen knapp 
werden, und die Mittel zur Deckung der großen Ausgaben nicht vorhanden 
sind. Das ist die Politik des Abg. Richter hier und im Reiche. Ich kenne 
ihn seit 30 Jahren. Er ist sich immer konsequent, und hat nicht die 
Neigung, sich selbst zu kritisieren und zu prüfen, ob seine Anschauungen 
noch richtig sind. Man hat mir vorgeworfen, daß ich es mit dem 
Kanal nicht recht ernst meinte. Ich habe keiner Vorlage so viel Arbeit 
gewidmet, wie der Kanalvorlage. Ich berufe mich auf Ihr Zeugnis, daß 
ich keine Vorlage entschiedener vertreten habe, als diese. Daß ich sie aber 
nicht als eine politische behandelt habe, ist durch die Erklärung des Reichs- 
kanzlers legalisiert worden. Man wollte von anderer Seite die Kanal- 
vorlage zu politischen Zwecken benutzen. Wenn ich die Kanalvorlage in 
meiner Etatsrede nicht expreß behandelt habe, so folgt daraus nicht die 
Berechtigung für den Abg. Richter, daß es mir nicht ernst sei mit dem 
Kanal. Früher ist schon in der Presse das Bestreben hervorgetreten, es 
denjenigen, die für die Vorlage stimmen wollten, zu schwer zu machen, 
dafür zu stimmen. Min. des Innern Frhr. v. Rheinbaben verteidigt 
seine vom Abg. Richter kritisierte Haltung in der Zensurfrage. Er könne 
das Polizeipräsidium nicht in der Ausübung der Zensur beeinflussen, da 
er nur Beschwerdeinstanz sei. Mißgriffe der Polizei seien auf einem so 
großen Gebiete unvermeidlich, würden aber korrigiert. Die Mißstände in 
der Kriminalpolizei lägen nicht im System, sondern in Personalverhält- 
nissen; man müsse darauf sehen, nur einwandfreie Leute anzustellen. Abg.