Die Ssterreichischzungmische Menarchi. (Dezember 9.) 203
Ministerpräsident v. Körber: Die Regierung habe nichts gethan,
was die tschechischerseits erhobene Beschuldigung der Parteilichkeit begründen
könnte. Zwischen der Regierung und den deutschen Parteien bestehe kein
anderes Verhältnis als zwischen der Regierung und den anderen Parteien.
Die Regierung sei allen Parteien dankbar, welche die Arbeiten des Parla-
mentes förderten und erleichterten; sie könne aber niemals ihre Unabhängig-
keit aufgeben. Die Regierung stehe nicht unter der Botmäßigkeit irgend
einer Partei. Sie sei frei und müsse zur Vollendung ihres Werkes auch
frei bleiben. Die Regierung sei nicht nur keine Feindin des tschechischen
Volkes, sondern sie würdige im Gegenteil dessen Bedeutung vollauf. Er
versichere, daß die Tschechen, wenn es sich darum handeln werde, einen
Friedenspreis für beide Teile zu finden, die Regierung weder übelwollend,
noch lässig finden würden. Der Regierung schwebe als klares unver-
dunkeltes Ziel die Zukunft des Staates vor. Sie wolle dieser Zukunft
dienen und wisse, daß Frieden werden müsse. Sie wisse aber auch, daß er
nicht ohne Besonnenheit und Mäßigung erreichbar sei. Deshalb fordere
die Regierung mehr denn je von allen Parteien alle Tugenden des Patrio-
tismus. Redner bedauert, daß das Haus nur zu langsam den Be-
mühungen der Regierung folge, und erklärte, es dränge sich die Frage
auf, was geschehen solle, wenn der Gesundungsprozeß zu lange währen
sollte. Die konstitutionelle Mechanik empfehle die Auflösung des Hauses,
bis ein solches mit anderer Gesinnung und größerer Arbeitslust gewählt
würde. Es könnte jedoch die ungeduldig gewordene Bevölkerung auch eine
Radikalkur verlangen, ja es seien schon verschiedene Stimmen dieser Art
laut geworden. Die Regierung prüfe auf das ernsteste und gewissenhafteste,
unter Berufung auf derartige Wünsche und auf die Ungeduld der Bevöl-
kerung, ob sie im dringendsten Interesse der Staatsnotwendigkeit an die
Verfassung greifen müßte. Sie werde äußerstenfalls für alle Zeiten ent-
lastet und vor der Verurteilung durch die Geschichte gesichert sein. Ja sie
könne unter diesen Umständen mit vollem Rechte als Retterin des Staates
betrachtet werden. Die Regierung wünsche diesen Weg jedoch nicht zu be-
schreiten. Wir sahen, so erklärte der Ministerpräsident weiter, bereits ein-
mal eine Verfassung zusammenstürzen und sollten eine Wiederholung dessen
vermeiden. Die Regierung wolle alles thun, um eine solche Katastrophe
hintan zuhalten und den Frieden zwischen den Völkern zustande zu bringen,
das geistige und materielle Wohl der Bevölkerung zu heben und das An-
sehen, sowie die Machtstellung des Staates zu fördern. Der Minister-
präsident schloß: die Regierung will auch in einer weniger erregten Zeit
der Fortbildung der Verfassung auf dem verfassungsmäßigen Wege nicht
ausweichen. Ich bitte aber die Abgeordneten, den Blick auf das alle um-
fassende Vaterland und seine unabweisbaren Bedürfnisse zu richten.
Lassen Sie das Parlament nicht schuldig werden. (Beifall und Be-
wegung.)
In einer Interpellation der Polen wird behauptet, die Polizei-
organe hätten bei Unterdrückung der galizischen antideutschen Demon-
strationen ihre Befugnis überschritten. Ferner wird die preußische Polen-
politik scharf kritisiert. Ministerpräsident v. Körber: Die Polizei habe
nach amtlichen Ermittelungen ihre Pflicht gethan. Die Regierung sei weit
entfernt, die nationalen Empfindungen unter ihre Kontrolle zu nehmen
oder den Geist solcher Aufwallungen zu mißdeuten; allein wie sie die Pflicht
habe, über die öffentliche Ruhe zu wachen, erachte sie sich insbesondere
dafür verantwortlich, daß die internationalen Beziehungen der Monarchie
vor jeder Verbindung mit inneren Vorkommnissen bewahrt bleiben. Die
Regierung könne die Zulässigkeit der Einmischung eines anderen Staates