Belgien. (März 29. — Mai.) 259
einräumt, das mittelafrikanische Unternehmen des Königs Leopold II. un-
entgeltlich als Kolonie zu erwerben, läuft ab. Der Ministerpräsident be-
reitet einen neuen Vertrag vor. Danach wird das erloschene Erwerbsrecht
des belgischen Staates auf den Kongostaat bis zum 18. Februar 1910 ver-
längert. Dafür verzichtet Belgien auf die im Vertrag von 1890 vorge-
sehene Verzinsung des Darlehens von 25 Millionen Franks, das dem Kongo-
staat aus der belgischen Staatskasse bewilligt worden war. Dieses Darlehen
wird ferner bis zum 18. Februar 1910 gestundet und wird an diesem Tage
fällig, falls Belgien von dem Uebernahmerecht keinen Gebrauch gemacht
hat. Dagegen fällt die dem Kongostaate bisher gewährte Jahressubvention
aus der belgischen Staatskasse im Betrage von 2,500,000 Fr. weg, da der
zunehmende Handel und die fortschreitende günstige Entwicklung des mittel-
alrilanischen Staatswesens diesem gestattet, fortan auf eigenen Füßen zu
ehen.
29. März. (Brüssel.) Die vereinigte Rechte beider Kam-
mern entscheidet sich in einer Fraktionssitzung mit großer Mehr-
heit gegen die Annexion des Kongostaates.
April. Die Kammer beschließt mit 92 gegen 16 Stimmen,
daß alle Berichte über Gesetzesvorlagen fortan in beiden Landes-
sprachen abzufassen sind.
April. In der klerikalen Partei brechen Differenzen über
die Heeresreform aus. Abg. Beernaert plädiert für Einführung
der persönlichen Dienstpflicht, während Abg. Woeste und die Bi-
schöfe Herabsetzung der Militärlasten verlangen.
7.8. April. (Lüttich.) Die Jahresversammlung der bel-
gischen Sozialdemokratie spricht sich für Erlangung des allgemeinen
Stimmrechts durch die radikalsten Mittel aus. — Eine ähnliche
Kundgebung erläßt der Generalrat der Arbeiterpartei Anfang Juli.
Ende April. Die Regierung legt den Kammern ein neues
Unfallversicherungsgesetz vor, wonach der Arbeiter Anspruch auf
Entschädigung für jede durch einen Unfall herbeigeführte Arbeits-
unfähigkeit von mehr als zweiwöchiger Dauer hat.
Mai. Juni. Heeresreform.
Eine von der Regierung eingesetzte außerparlamentarische Kommission
zur Ausarbeitung einer Heeresorganisation schlägt mit großer Majorität
die Einführung der persönlichen Dienstpflicht und die Beseitigung der Stell-
vertretung vor. Das jährliche Truppenkontingent wird für das erste Jahr
bach Inkrafttreten des Gesetzes auf 16,000 Mann, für das zweite und die
nachfolgenden Jahre auf 18,000 Mann festgesetzt, an Stelle der 13,500 Mann,
die gegenwärtig ausgehoben werden. Die gesamte Dienstzeit beträgt 13
Jahre, und die Minimalstärke des belgischen Heeres in Kriegszeiten 180,000
Mann. Weiter wird die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen für ge-
wisse Stellungspflichtige, die einen höheren Bildungsgrad nachweisen, neu
geschaffen. Schließlich setzt der Gesetzentwurf die aktive Dienstzeit, die jetzt
durchschnittlich 28 Monate beträgt, in der Weise fest, daß sie in der In-
fanterie nur 21, in der Artillerie nur 24, in der Kavallerie aber 30 Mo-
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