Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

20 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 24. 25.) 
                       Abg. v. Glebocki (Pole) bringt folgende Interpellation ein: 
                       1. Ist dem Hrn. Reichskanzler bekannt, daß in letzter Zeit an vielen 
Orten des Bundesstaats Preußen die Postbehörden Postwertsendungen und 
einfache Briefe, entgegen den Bestimmungen der Postordnung vom 20. März 
1900, nicht befördert haben, wodurch zum Teil materieller Schaden für 
das betreffende Publikum entstanden ist? 2. Welche Maßnahmen gedenkt 
der Herr Reichskanzler zu ergreifen, um für die Zukunft solchen Uebel- 
ständen vorzubeugen? 
                Er legt mehrere Beweisstücke für diese Beschwerden vor und führt 
aus, daß in der polnischen Bevölkerung hierdurch Unzufriedenheit entstehen 
müsse. Staatssekretär v. Podbielski: Die polnischen Adressen hätten sich 
erst in jüngster Zeit so gehäuft. Ein polnisches Blatt hatte die Parole 
ausgegeben: „Wir bitten unsere Leser, künftighin die Adressen der Post- 
sendungen polnisch zu schreiben, denn die Post ist verpflichtet, sie zu be- 
fördern." Es dauerte aber auch gar nicht lange, und auf einmal ging 
die Hochflut los. (Heiterkeit.) Während früher nur vereinzelte Post- 
sendungen mit polnischen Adressen einliefen, wußten sich nunmehr die 
Beamten kaum zu retten. Sie kamen sowenig zurecht, daß ich von einigen 
Postämtern ersucht wurde, eine Bezirksverfügung zu erlassen. Um aber 
nicht Oel ins Feuer zu gießen, habe ich thatsächlich keine Verfügung er- 
lassen. Es ist doch eigentümlich, daß polnische Geschäftsleute, Rechtsanwälte 
u. s. w., die früher deutsche Adressen schrieben, sich plötzlich nur polnischer 
Adressen bedienten. Wie schwierig für die Beamten und Postboten der- 
artige Adressen sind, mögen folgende Fälle beweisen: Ein Brief an eine 
Frau May war Maja adressiert; eine Postsendung war nach Glogowiew 
adressiert; ich frage Sie: Was heißt Glogowiew? Es ist mir nach vieler 
Mühe gelungen herauszubekommen, daß Glogau damit gemeint ist. Gegen 
solche und andere Provokationen müsse sich die Verwaltung verteidigen. — 
Abg. Roeren (Z.): Das Vorgehen der Posener Verwaltung sei ungesetz- 
lich; der Staatssekretär müsse verhindern, daß Behörden dem Hakatismus 
dienten. Abg. Sattler (nl.) und Abg. v. Staudy (kons.) sind mit dem 
Posener Vorgehen einverstanden. — Die Redner der Linken verurteilen 
die Posener Praxis als tendenziös und gehässig. 
              Januar. Alle größeren Blätter bringen Nekrologe auf die 
Königin Viktoria. Vielfach wird behauptet, daß sie gegen den süd- 
afrikanischen Krieg gewesen sei, aber als konstitutionelle Königin 
keinen Widerspruch erhoben habe. Hier und da wird erwartet, 
daß der Thronwechsel eine Verminderung des englischen Einflusses 
auf dem Festlande herbeiführen werde. 
               24. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Bei 
Besprechung der Kohlenfrage (vergl. 1900 S. 114) führt der Han- 
delsminister Brefeld aus, die Regierung suche nach Möglichkeit sich 
von der Mitwirkung der Händler zu befreien und die fiskalische 
Kohle direkt in den Konsum zu bringen. 
              25. Januar. Der Reichstag verweist eine Vorlage über 
Versorgung der Teilnehmer an der Chinaexpedition und ihrer 
Hinterbliebenen an die Budgetkommission.