284 Rußland. (November Ende. Dezember 6.)
Andere Blätter bezeichnen den Augenblick als günstig, die freie Durchfahrt
durch die Dardanellen zu verlangen.
Ende November. Dezember. In Petersburg, Moskau und
Charkow kommt es zu Unruhen unter den Studenten. In Charkow
beteiligen sich Arbeiter daran, so daß Militär einschreiten muß.
Ende November. Aus dem kaukafischen Gebiet wandern nach
Preßnachrichten Tausende in die Türkei aus.
6. Dezember. Der „Wiestnik Finanzow“ schreibt über die
Stellung des Finanzministers zum deutschen Zolltarifentwurf:
„Der Finanzminister geht von dem Gesichtspunkt aus, daß jede
Regierung in ihrer Fürsorge für die landwirtschaftlichen Bedürfnisse ihrer
Staatsangehörigen unabhängig ist und so vorgehen kann, wie sie es für
ihr Land nützlich erachtet, ohne daß jemand darin eine Feindseligkeit gegen
fremde Länder erblicken könne. Wir dürfen uns ebensowenig in die innere
Politik einer fremden Regierung, selbst wenn sie den wirtschaftlichen Inter-
essen Rußlands widerspricht, mischen, wie die russische Regierung nicht zu-
geben könnte, daß fremde Regierungen unsere wirtschaftlichen Maßregeln
anders beurteilen, denn als eine Angelegenheit unserer unabhängigen
inneren Politik, die sich nur von der Sorge um das Wohl Rußlands
leiten lassen darf. Wenn nun auch jede Regierung gewissenhaft die Inter-
essen ihres Landes verteidigt, bieten doch internationale Handelsbeziehungen
soviel Vorteile, daß die Regierungen bestrebt sind, zu einem modus vivendie
zu gelangen, der im stande ist, die Interessen der verschiedenen Länder
auszugleichen, und daß sie einen Weg suchen, auf dem ein Einvernehmen
zwischen zwei Völkern möglich ist und der Grund zu einem wirtschaft-
lichen Kampf vermieden wird. Was die Handelsbeziehungen zwischen
Deutschland und Rußland anbetrifft, so sind zwei Wege möglich: 1. Bei-
behaltung der jetzt bestehenden Tarife, also Verlängerung des jetzigen
Handelsvertrags auf eine voraus festgesetzte Zeit, oder 2. Uebergang zu
anderen Zolltarifen, deren Sätze unabhängig von den gegenseitigen Inter-
essen der Staaten, welche den Vertrag geschlossen haben, festgesetzt werden,
und die nur das heimische Bedürfnis zur Grundlage haben würden, um
die verschiedenen Industriebranchen gegen die auswärtige Konkurrenz ge-
sondert zu schützen. Diesen Weg wird Rußland notwendigerweise betreten
müssen, wenn der deutsche Zolltarifentwurf, der auf dem Prinzip des
nationalen Egoismus beruht, angenommen wird. Im Jahre 1891 hat
sich die russische Regierung dazu verstanden, ihren Zolltarif zu gunsten
Deutschlands beträchtlich herabzusetzen, einzig, weil Deutschland unseren
Ackerbauprodukten gleiche Vorteile einräumte. Die russische Regierung hielt
damals für möglich, der russischen Industrie einen geringeren Schutz zu
gewähren zu gunsten des vom deutschen Markt abhängigen Ackerbaues.
Wenn die deutsche Regierung heute für nötig hält, in Anbetracht der wirt-
schaftlichen Bedürfnisse des Landes die russische Einfuhr der ihr bis 4Ett
eingeräumten Vorteile zu berauben, und seine Zölle erhöht, wird die russische
Regierung ebenfalls im nationalen wirtschaftlichen Interesse diesen Nachteil
ausgleichen müssen. Dies läßt sich dadurch erreichen, daß unser Tarif den
jetzigen Bedürfnissen der russischen Industrie besser angepaßt wird. In
diesem Falle würden die Zölle wieder auf die Sätze des Tarifs von 1891
gebracht werden, und sogar für gewisse Gegenstände, welche komplizierte
Arbeit verlangen, noch mehr erhöht werden. Das würde zu einer wesent-
lichen Abänderung einer ganzen Reihe von Artikeln in unserem Tarif