Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 4./7.) 33
Das hat aber nur einige Jahre gedauert und dann ist ein Steigen
des Eisenbahnverkehrs von Jahr zu Jahr allgemein anerkannt worden.
Bei der Regelung der Abgabenfrage für die Wasserstraßen steht uns
leider die Abgabenfreiheit auf den natürlichen Flußläufen im Wege; wir
werden die Aufhebung dieser Bestimmung der Verfassung wohl so leicht
nicht gewinnen können, wir können aber, wegen der Abgabenfreiheit auf
den großen Flußläufen die Schiffe, die von dort auf unseren Kanälen
kommen, mit höheren Abgaben belegen, ohne daß wir dadurch die Schiff-
fahrt schädigen. Das ist keineswegs gegen die Verfassung; denn auf den
Kanälen kann ich Abgaben erheben, soviel wie ich will. Wenn unsere
Finanzlage uus nun die Durchführung des Kanalprojektes sehr wohl ge-
stattet, dann müssen Sie weiter bedenken, daß ein billiger, gutgeordneter,
rascher Verkehr dem Wohlstand des ganzen Landes nutzt. Speziell die
Landwirtschaft wird Vorteil von den Kanälen haben. Massengüter sind
für die Wasserstraßen und Massengüter sind die Produkte der Landwirt-
schaft. Der Güteraustausch vom Osten zum Westen wird sich neben Getreide
auch auf die Kartoffeln erstrecken und in Verbindung mit vermehrtem Zoll-
schutz der Landwirtschaft des Ostens erheblich nützen — die Landwirtschaft
des Westens wird davon keinen Schaden haben; denn soweit kommen die
mit immerhin schweren Abgaben belasteten Kornschiffe nicht; denn diese
werden nach Hamburg gehen, schon um die abgabenfreie Elbe benützen zu
können. Von einer wirklichen Verquickung dieser ganzen wirtschaftlichen
Fragen mit einer politischen kann wohl ernstlich keine Rede sein. Es muß
alles vermieden werden, um Disharmonien zwischen den Parteien des
Hauses untereinander und gegenüber der Regierung zu vermeiden. Die
Regierung würde es für eine wahre Wohlthat halten, wenn eine annehm-
bare Lösung dieser hochwichtigen Frage und eine Verständigung mit der
Regierung gefunden würde. Lassen Sie sich durch vorgefaßte Meinungen
nicht so beeinflussen, daß Sie der Regierung eine Annahme Ihrer Vorschläge
unmöglich machen. Ein verständiger, auch in die Zukunft sehender Politiker,
darf sich der Folgen der Ablehnung einer solchen Vorlage wie diese für die
Entwickelung des Landes nicht entschlagen und darf sich nicht trösten damit,
daß er sagt, es ist keine politische Frage, sondern eine wirtschaftliche, und
es ist doch zweifellos, daß eine wirtschaftliche Frage von solcher Bedeutung
auch ihre Wirkungen auf politischem Gebiete hat.
5. Februar. Abg. Wiemer (fr. Vp.): Die Bewilligung der Kom-
pensationsforderungen hätte nur die Begehrlichkeit verstärkt und die Vorlage
gegen früher verschlechtert. Die finanzielle Seite müsse genauer betrachtet
werden, aber die Ausgabe für einen so rentabeln Zweck sei nicht drückend.
Die Bedenken, die von verschiedenen Seiten vom Standpunkt der Eisenbahn-
einnahmen erhoben worden sind, scheinen mir wenig stichhaltig zu sein.
Erstens beruhen die Berechnungen, die über den zu erwartenden Ausfall
an Eisenbahneinnahmen angestellt worden sind, auf sehr unsicherer Grund-
lage; grundsätzlich aber stehen wir auf dem Standpunkte, daß Verkehrs-
fragen entschieden werden müssen, ganz unabhängig von fiskalischen Rück-
sichten irgendwelcher Art. (Beifall links.) Auf jeden Fall steht aber dem
rechnerischen Einnahmeausfall eine Ersparnis der Privaten an Transport-
kosten, d. h. ein nationalwirtschaftlicher Vorteil gegenüber. Vor allem
aber hat die Eisenbahnverwaltung selbst ein Interesse daran, durch die
Kanäle entlastet zu werden. Die Eisenbahnen sind heute schon kaum mehr
im Stande, den wachsenden Anforderungen des Verkehrs Genüge zu leisten,
und der von Jahr zu Jahr wachsende Betriebskoeffizient läßt nicht er-
warten, daß die Eisenbahnüberschüsse auf die Dauer steigen werden. Abg.
Stengel (freik.): Er stehe den Meliorationsarbeiten an der Oder, Spree
Europäischer Geschichtskalender. XLII. 3