Rußland. (Juni 27.—Juli Anfang.) 289
27. Juni. Entschädigung für die von den bäuerlichen Un-
ruhen Betroffenen. «
Der Regierungsbote gibt einen Erlaß des Kaisers bekannt, nach
welchem die Reichsrentei 800 000 Rubel Entschädigung für die Grundbesitzer
in den Gouvernements Charkow und Poltawa anzuweisen hat, die durch
die Bauernunruhen Verluste erlitten haben. Besondere Kommissionen unter
dem Vorsitze der Gouverneure haben die Höhe der einzelnen Entschädigungen
festzusetzen, ferner die Höhe der Beträge, für welche die einzelnen Dorf-
gemeinden und deren Bauern, die an den Unruhen teilgenommen haben,
aufkommen müssen. Sie haben ferner die Zeit zu bestimmen, in welcher
die Bauern durch die Zahlung einer entsprechenden jährlichen Zuschlag-
steuer, die in diesem Jahre zum erstenmal erhoben werden soll, der Reichs-
rentei ihre Schuld abtragen müssen.
Ende Juni. In Galizien und Südwestrußland richtet Un-
wetter großen Schaden an.
Ende Juni. Anfang Juli. In Rostow brechen Unruhen
unter Fabrikarbeitern aus; unter den Landleuten in Südrußland
von Charkow bis zum Kaukasus macht sich wieder eine Gärung
bemerklich. ·
Anfang Juli. Die russische Regierung protestiert in einer
Note an die Mächte gegen die Brüsseler Zuckerkonvention.
In der Note heißt es, Rußland habe mit allen an der Brüsseler
Konvention beteiligten Staaten Handelsverträge abgeschlossen, laut welchen
für Produkte russischer Herkunft kein anderer oder höherer Zoll als für
Produkte der am meisten begünstigten Staaten erhoben werden könne.
Daher müssse die russische Regierung eine Tariferhöhung für russischen Zucker
als Vertragsverletzung ansehen, auch wenn in Rußland der Zuckerexport
durch Ausfuhrprämien begünstigt werde, was aber in Wirklichkeit nicht der
Fall sei. Das Inkrafttreten der Brüsseler Konvention würden die Handels-
verträge auch verletzen, wenn die Handelsverträge eine Klausel betr. Ein-
führung von Exportprämien enthielten, da die russische Regierung keines-
wegs solche auszahle, sondern im Gegenteil ein Privatsyndikat, wodurch
die Zuckerfabrikanten zum Export gezwungen gewesen, aufgehoben und
dieses durch Regulierung der Binnenproduktion ersetzt habe. Die Note
will nicht zugeben, daß diese Maßregel eine Erhöhung der Binnenpreise
bezwecke, sondern stellt als ihren Zweck dar die Verbreitung des Binnen-
konsums von Zucker vermittelst einer allmählichen Reduktion der Preise
dieses Produktes. Falls nachgewiesen werde, daß dieser Schutz der Binnen-
preise den natürlichen Verlauf der internationalen verletzt, so würde die
russische Regierung zusammen mit den anderen Mächten in eine Prüfung
derjenigen Maßregeln eintreten, die das künstliche Einwirken auf den inter-
nationalen Markt hindern könnten; sie würde gern auf den Vertrag ein-
gehen, wenn diese Frage in ihrem ganzen Umfang zur Prüfung vorgelegt
würde, d. h. nicht nur die Folgen der unmittelbaren Maßregel der Re-
gierungen betr. die Auszahlung von Prämien oder die Normierung der
Produktion, sondern auch die Bedeutung der verschiedenen Syndikate, die
von der Regierung geduldet oder begünstigt werden, geprüft würde, und
wenn der Vertrag nicht nur den Zucker, sondern auch andere Waren be-
treffe, die von Bedeutung im gegenwärtigen Welthandel seien.
Europäischer Geschichtskalender. XL U. 19