20 No# Vesche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19./23.)
Interessen des deutschen Volkes entsprechen, noch den Wünschen Sr. Majestät
des Kaisers. Der Kaiser verträgt sehr gut den Widerspruch, er will gar
keinen Reichskanzler haben, der nicht widersprechen könnte. Wollte Gott,
Sie wären auf Ihrer Seite ebensowenig voreingenommen, wie Se. Majestät
der Kaiser, dann würden wir viel besser miteinander auskommen. (Große
Heiterkeit.) Es ist gestern an die von diesem hohen Hause wiederholt an-
genommenen Anträge Schroeder zur besseren Sicherung des Wahlgeheim-
nisses erinnert worden. Ich bin in der Lage, dem hohen Hause mitteilen
zu können, daß beim Bundesrat ein Antrag des Reichskanzlers eingebracht
worden ist, der eine Abänderung des Wahlreglements für die Reichstags-
wahlen in dem Sinne vorschlägt, daß in Zukunft die Benutzung von Um-
schlägen für die Zettel und die Einrichtung von Isolierräumen zur Aus-
übung des Wahlrechts in der Art obligatorisch gemacht werden soll, daß
die Stimmabgabe des einzelnen Wählers von dritten nicht beobachtet werde.
(Lebhafter Beifall links.) Zur Einführung dieser Bestimmung bedarf es
nach meiner Ansicht keiner Aenderung des Wahlgesetzes für den Reichstag,
sondern es genügt dazu eine entsprechende Ergänzung des Wahlreglements.
Sobald der Bundesrat sich mit dieser Abänderung des Wahlreglements
einverstanden erklärt haben wird, wird Ihre Zustimmung zu derselben,
gemäß § 15 Absatz 2 des Wahlgesetzes zum Reichstag vom 31. Mai 1869,
erbeten werden, damit schon bei den bevorstehenden Neuwahlen zum Reichs-
tag von diesen neuen Kautelen zur größeren Sicherheit des Wahlgeheim-
nisses Gebrauch gemacht werden kann. (Beifall links.) Meine Herren! Ich
wende mich nun nur noch kurz zu demjenigen, was die Herren Vorredner
über unsere auswärtige Politik gesagt haben. Ueber unsere Beziehungen
zu Frankreich will ich nicht und werde ich nicht so eingehend reden, wie
dies der Abg. v. Vollmar getan hat. Ich freue mich aber sagen zu können,
daß ich mit Sinn und Geist seiner Ausführungen einverstanden bin. Das
ist eine sich oft wiederholende Beobachtung, daß man bei vielen Dingen
verschiedener Ansicht sein kann, aber sich doch in gewissen Punkten begegnet.
Das gilt ebenso auch für Völker. Also ich bin auch davon durchdrungen,
daß ruhige und friedliche Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich
gleichmäßig den Interessen, dem Wohle beider Länder entsprechen und daß
es eine gewisse Anzahl von Fragen gibt, wo beide zu ihrem beiderseitigen
Vorteil Hand in Hand gehen können. Ich werde meinerseits auch ferner-
hin auf das sorgsamste unsere Beziehungen zu unserm westlichen Nachbarn
pflegen, mit dem wir in der Vergangenheit den Degen gekreuzt haben,
dessen glänzende Eigenschaften wir aber ebensowenig verkennen, wie seine
Verdienste um die Fortschritte der Zivilisation und seine Bedeutung als
einer der stärksten Träger menschlicher Kultur. Was die Venezuela-An-
gelegenheit angeht, m. H., so darf ich mich hinsichtlich der Ursachen wie
der Zwecke unseres dortigen Vorgehens auf die eingehende Denkschrift be-
ziehen, welche ich die Ehre hatte, vor einiger Zeit dem hohen Hause zu
unterbreiten. Unsere in voller Gemeinsamkeit mit England und Italien
eingenommene Haltung hat bisher dahin geführt, daß der Präsident von
Venezuela die Forderungen der drei Mächte im Prinzip anerkannt hat.
Ebenso hat er sich mit den Vorbedingungen für die Ueberweisung der in
Bezug auf die Streitfrage von den drei Mächten aufgestellten Forderungen
an das Haager Schiedsgericht einverstanden erklärt. Es soll demnächst in
Washington über die weitere Regelung der Angelegenheit eine diplomatische
Konferenz das nähere bestimmen. Die amerikanische Regierung hat es in
dankenswerter Weise übernommen, die durch den Abbruch der diplomatischen
Beziehungen der drei Mächte zu Venezuela erschwerten Verhandlungen mit
dieser Republik ihrerseits zu vermitteln. Unser Bestreben geht dahin, die