Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

8 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 18. 19.) 
lichen Schädigungen auszusetzen. Deutschland sei ein leistungsfähiger Ab- 
nehmer; die Regierung könne deshalb auf Entgegenkommen des Auslands 
rechnen. Sie werde an bestimmten elementaren Forderungen festhalten 
und nur bei deren Erfüllung neue Verträge schließen. — Abg. Herold (Z.): 
Zu diesen Forderungen gehörten hoffentlich die Mindestzölle des Zolltarifs 
für Getreide. Abg. Bernstein (Soz.): Verträge mit diesen Mindestzöllen 
würde seine Partei ablehnen. Abg. Graf Schwerin (kons.) verlangt Mit- 
teilungen über den Stand der Verhandlungen. Abg. Kempf (fr. Vp.) und 
Abg. Gothein (fr. Vg.) bezeichnen den Zolltarif als ungeeignet für Ver- 
handlungen. Graf Posadowsky widerspricht dieser Behauptung und lehnt 
eine Mitteilung über die Verhandlungen ab. Abg. Paasche sieht in der 
sofortigen Kündigung der Verträge eine große Gefahr, weil der Abschluß 
neuer zweifelhaft sei. 
18. Januar. (Sachsen.) Die Führer der streikenden Textil- 
arbeiter in Crimmitschau fordern die Arbeiter auf, die Arbeit be- 
dingungslos wieder aufzunehmen. — Die Beschränkungen des Ver- 
sammlungsrechts werden aufgehoben. 
18. Januar. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in 
Osnabrück erhält v. Bar (Welfe) 12883,  Wamhoff (nl.) 11665, 
Schrader (Soz.) 4930 Stimmen. Bei der Stichwahl am 1. Februar 
erhält Wamhoff 15503,  v. Bar 15187  Stimmen. 
Januar. In vielen Städten kommt es zu Streitigkeiten 
zwischen Krankenkassen und Ärzten. Die Differenzen, die mehrfach 
zu Streiks der Ärzte führen, nehmen in den nächsten Monaten 
zu. — Am 20. Februar verlangt der preußische Handelsminister, 
daß die Kassen rechtzeitig für Ersatz der streikenden Arzte sorgen. 
19. Januar. (Reichstag.) Beratung der Vorlage für Süd- 
westafrika. 
Kolonialdirektor Dr. Stübel gibt eine Uebersicht über die Aufstände 
im Schutzgebiet, die vollkommen überraschend gekommen seien. Die Ur- 
sachen des Aufstandes sind darauf zurückzuführen, daß die Eingeborenen 
die Zeit vor der Okkupation nicht vergessen haben, wo sie in vollkommener 
Ungebundenheit und Zügellosigkeit lebten. Als die Deutschen ins Land 
kamen, betrachteten sie sie als geeignete Bundesgenossen gegenüber den 
Witbois. Aber schon im Jahre 1896 kam es zu einem partiellen Aufstand, 
der aber niedergebrochen wurde. Der Hauptstamm der Herero benahm sich 
damals durchaus loyal; er blieb aber ein Gegner der staatlichen und gesell- 
schaftlichen Ordnung. Dazu kam, daß nach dem Bau von Eisenbahnen 
eine große Anzahl von Farmen auf die Weißen überging und die wirt- 
schaftliche Selbständigkeit der Herero durch Kaufverträge vielfach eingeschränkt 
wurde. Diese Beweggründe riefen den Aufstand hervor; vielleicht trugen 
auch die falschen Nachrichten über die Niederlagen der Weißen zu dem 
Aufstande bei. Ob der Aufstand schon lange vorbereitet war, kann man 
nicht genau sagen. Die Missionare waren vollkommen im Ungewissen über 
die Erhebung. Der Aufstand kam so überraschend, daß von einer Verant- 
wortung unsererseits nicht die Rede sein kann. Auch unter diesen trau- 
rigen Umständen erwiesen sich die Eisenbahnen in Südwestafrika von großem 
Werte. Die Operationsbasis ist mit Hilfe der Eisenbahnen bis in die 
 
	        
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