Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 5. 10.) 165 
streiche das Wort „verständig“ (Heiterkeit) — über unser Verhältnis zu 
England denken. Das Urteil darüber, wann und wie ich es für richtig 
und zweckentsprechend halte, die öffentliche Meinung anderer Länder zu 
orientieren, behalte ich mir selber vor. Wenn aber Herr Bebel weiter ge- 
sagt hat, ich hätte diese Auseinandersetzungen im Reichstage machen sollen, 
so glaube ich, daß es wenige Minister des Aeußern gibt, die sich so oft 
und so eingehend über auswärtige Fragen aussprechen wie ich, und ich 
glaube, daß mir in dieser Beziehung ein begründeter Vorwurf nicht ge- 
macht werden kann. (Zustimmung.) Ich bin aber nicht ein Feuerwerker, 
der ein- oder zweimal jährlich aufzutreten hat, um zu einem bestimmten 
Termin ein Feuerwerk abzubrennen. (Große Heiterkeit.) Wann und wie 
ich über Fragen der auswärtigen Politik sprechen will, welche Zeitungen 
ich mir aussuche, das hängt lediglich ab von dem, was ich im Interesse 
des Landes für nützlich und zweckmäßig halte, und das bestimme ich selbst. 
Der Grund, weshalb ich Mr. Bashford empfangen habe, als er den Wunsch 
aussprach, mich zu sprechen, war die unverkennbare Tatsache, daß eine 
gewisse Anzahl englischer Publizisten während der letzten Monate ihren 
Platz in der englischen Presse benutzte, um Unkraut auf den Acker der 
deutsch-englischen Beziehungen zu säen. Deswegen habe ich Anfang Sep- 
tember Mr. Bashford empfangen, der dann Anfang November in der 
„Nineteenth Century“ dies Interview veröffentlichte. Ich hielt es für 
besser, einige besonders stachelige Disteln zu beseitigen, insbesondere die 
Behauptung, wir hätten uns in die Tibetangelegenheit eingemischt, was 
eine Lüge war. Ebenso, wir hätten den Huller Zwischenfall herbeigeführt, 
was eine zweite, unverschämte Lüge war. Also ich habe mich bemüht, 
derartige Unwahrheiten aus der Welt zu schaffen, da, wie Sie wissen, eine 
publizistische Kampagne sich nicht erst seit gestern bemüht, die friedlichen 
Beziehungen zwischen Deutschland und England zu stören. Sie werden 
nicht von mir verlangen, daß ich auf alle hetzerischen Erzeugnisse dieser 
publizistischen Kampagne hier eingehe. Wenn aber solche Hetzer zur Basis 
ihrer Angriffe, ihrer Verleumdungen kann ich wohl sagen, die Annahme 
nehmen, als wenn wir mit unserer Flottenpolitik Agressivpläne gegen Eng- 
land verfolgten, und wenn zu meinem Bedauern sich über diesen Punkt 
der Herr Abg. Bebel nicht mit der wünschenswerten vollen Klarheit und 
apodiktischen Gewißheit ausgesprochen hat, dann frage ich Sie alle, die Sie 
an unserem Flottenprogramm mitgewirkt haben, ob unsere Flotte nicht 
nur rein defensive Zwecke verfolgt. Ich wiederhole ausdrücklich vor diesem 
hohen Hause, ich kann mir nicht denken, daß der Gedanke eines deutsch- 
englischen Krieges bei den vernünftigen Leuten in beiden Ländern ernst- 
lichen Anklang finden würde. Von verschiedenen Seiten ist auch die Lage 
der Dinge in Südwestafrika berührt worden. Als im vergangenen Jahre 
die ersten Nachrichten über Südwestafrika bei uns eintrafen, habe ich von 
dieser Stelle aus der Hoffnung und der Zuversicht Ausdruck gegeben, daß 
das über Südwestafrika hereingebrochene Unglück das deutsche Volk und 
seine Vertretung einmütig finden würde zum Schutze unserer bedrängten 
Ansiedler, einmütig zur Wahrung der Ehre unseres Landes. Ich habe 
gleichzeitig gesagt, daß wir nicht ruhen würden, bis die Aufrührer in ihre 
Schranken zurückgewiesen wären. Ich habe gesagt, daß wir nicht daran 
dächten, einen Fuß breit des Landes aufzugeben, auf dem deutsches Blut 
geflossen ist, und wenn Herr Bebel es soeben als einen Fehler der gegen- 
wärtigen deutschen Politik bezeichnet hat, da zu bleiben, wo wir sind, so 
glaube und hoffe ich, daß die große Mehrheit des Volkes gerade der ent- 
gegengesetzten Ansicht ist. (Beifall bei der Mehrheit.) Ich habe mich end- 
lich bereit erklärt, die volle Verantwortung zu übernehmen für alle Truppen-
	        
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