Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Vie erreihischungerische Mmearchie. (Mai 16.) 191 
Kampf lokalisiert bleiben und keine Komplikationen zur Folge haben wird. 
Günstig und erfreulich dürfen die Fortschritte der Reformaktion der jüngsten 
Zeit auf dem Balkan genannt werden. Trotz beständiger Schwierigkeiten, 
denen wir auf der türkischen Seite auf Schritt und Tritt begegneten und 
die mit einem nicht geringen Aufwande von Geduld und Zähigkeit erst 
bewältigt werden mußten, ist es gelungen, die Gendarmerie-Organisation 
in das Stadium praktischer Ausführung zu bringen. Die Tätigkeit der 
fremdländischen Offiziere kann selbstverständlich nur allmählich sich ent- 
falten. Es wird zunächst eine Reorganisation der im Zentrum der maze- 
donischen Vilajets vorhandenen Gendarmeriekorps in Angriff genommen, 
einerseits mit Rücksicht auf das Leistungsvermögen der Militäradjoints, 
andererseits wegen der Unmöglichkeit, die Bestellung des geeigneten ein- 
heimischen Offiziermaterials auf einmal zu besorgen. Eine besondere Für- 
sorge wird den nördlichen Bezirken des Vilajets Kossowo zugewendet, wo 
die christliche Bevölkerung, gemischt mit der albanesischen, wohnt und 
manches geschehen muß, um ein friedliches Zusammenleben beider sich per- 
manent befehdender Stämme zu ermöglichen. Wir sind entschlossen, mit 
nicht geringerer Zähigkeit und Energie die Durchführung aller Punkte des 
Mürzsteger Programms zu verfolgen. Wir betrachten gleich Rußland es 
als Ehrenpflicht, der von den Mächten uns anvertrauten Mission in vollstem 
Maße gerecht zu werden, und wir hoffen, daß die Türkei uns die Aufgabe 
nicht weiter erschweren wird. Denn man kann in Konstantinopel sich 
keiner Täuschung mehr darüber hingeben, daß durch die gewohnten Winkel- 
züge keine Einschränkung unserer Postulate zu erzielen ist. Wir werden 
nicht eher ruhen, als bis das Programm in allen Details ins Leben ge- 
rufen und das Funktionieren aller Institutionen gewährleistet ist. Geht 
die Pforte uns dabei nicht loyal zur Hand, so muß sie sich die Fortdauer 
unseren direkten Intervention, sowie die ernsten Gefahren selbst zuschreiben, 
denen sie sich aussetzen müßte, wenn sie durch die Befolgung der selbst- 
mörderischen Taktik denen recht gäbe, welche sie für unverbesserlich Hese- 
und eine viel eingreifendere Operation an ihr vornehmen möchten, als es 
durch die Ausführung des Mürzsteger Programmes geschieht, welche ihre 
Integrität vollständig schont. Die Pforte müßte mit Blindheit geschlagen 
sein, wenn sie sich dieser Einsicht verschlösse und lieber unbekümmert um die 
vitalen Interessen des Reiches den Hetzern Gehör schenkte. Dies wäre um 
so unverantwortlicher nach dem Zustandekommen des Uebereinkommens mit 
Bulgarien und bei der Haltung Serbiens gegenüber dem Bandenunwesen, 
sowie der eingetretenen Beruhigung der einheimischen Bevölkerung, die 
besonders geeignet ist, die begonnene Arbeit zu fördern und zu beschleunigen. 
Es darf aber keine Zeit verloren werden. Darum hoffe ich, daß die Türkei 
endlich erkennt, wie aufrichtig und uneigennützig wir im Interesse ihrer 
Erhaltung handeln, wenn wir unentwegt auf unseren Forderungen be- 
stehen. Eine wichtige Aufgabe erwächst meinem Ressort in den nunmehr 
beginnenden und teilweise bereits begonnenen Verhandlungen mit den 
fremden Staaten über dem Abschluß neuer Handelsverträge. Zunächst 
stehen jene mit Deutschland und Italien auf der Tagesordnung, wobei 
noch nicht unerhebliche Schwierigkeiten zu beheben sind, bevor eine sichere 
Basis gefunden wird, auf welcher der Aufbau unserer zukünftigen kom- 
merziellen Beziehungen zu diesen beiden Nachbarreichen erfolgen kann. Ich 
sehe indessen dem Ausgang dieser Arbeit vertrauensvoll entgegen, da die 
Erlangung normaler Verhältnisse zu sehr im allseitigen Interesse liegt, um 
nicht mit allen Kräften eine Ausgleichung der bestehenden Differenzen 
herbeiführen zu wollen. Selbstverständlich ist allerseits ein Entgegenkommen 
nötig, um einen Zustand anzustreben, der künftig allen mißverständlichen 
  
  
  
  
 
	        
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