12 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 22. 23./26.)
„Mein lieber Professor Dr. Zeller:
Am heutigen Tage, an welchem Sie auf 90 Jahre Ihres arbeits-
reichen, erfolggekrönten Lebens mit Befriedigung zurückblicken können, ver-
einige Ich Mich im Geist mit den Vertretern und Jüngern der deutschen
Wissenschaft, um Ihnen zu diesem bedeutungsvollen Lebensabschnitt auf-
richtige Glück- und Segenswünsche darzubringen. Meine Wünsche und
Gedanken gelten aber nicht nur dem großen Philosophen, auf den die
deutsche Wissenschaft für alle Zeit stolz sein wird, sondern auch dem Manne,
der Meinen in Gott ruhenden Eltern so nahe gestanden hat. Es gewährt
Mir eine Herzensfreude, daß Ich Ihre von Künstlerhand gefertigte Büste
neben den Standbildern der Verewigten in der Reichshauptstadt an histo-
rischer Stelle habe der Nachwelt überliefern können, nur habe Ich bedauert,
daß Sie an der schönen Enthüllungsfeier nicht haben persönlich teilnehmen
können. Ich bitte Sie, das beifolgende Bildnis zur Erinnerung an den
heutigen Tag freundlichst anzunehmen und sich beim Anblick desselben zu
vergegenwärtigen, daß Ihr ferneres Wohlergehen stets mit besonderer Freude
erfüllt Ihren dankbaren Wilhelm I. R.“
22. Januar. Der Reichstag verweist die Vorlage über den
Servistarif an die Budgetkommission. Sämtliche Redner fordern
erhebliche Änderungen an dem Regierungsentwurf.
22. Januar. (Reichstag.) Gesetz über Verlängerung der
Friedenspräsenzstärke.
Die Vorlage lautet: Die Bestimmungen des Gesetzes betr. die Frie-
denspräsenzstärke des deutschen Heeres vom 25. März 1899 bleiben mit
der Maßgabe in Kraft, daß im § 2 des Art. I und im Art. II statt
„31. März 1904“ zu setzen ist „31. März 1905“. Die Begründung sagt:
„Die verbündeten Regierungen halten es für angezeigt, das am 31. März
1904 ablaufende Friedenspräsenzgesetz vom 25. März 1899 um ein Jahr
— bis zum 31. März 1905 — zu verlängern, da die gesetzgebenden Körper-
schaften in der laufenden Session bereits über eine Reihe wichtiger und
umfangreicher Vorlagen zu beschließen haben werden.“
Abg. v. Elern (kons.) bedauert, daß nur eine einjährige Periode
gefordert ist. Abg. Bebel (Soz.) glaubt nicht an die in der Motivierung
gegebenen Gründe. Im Herbst würden wohl große Forderungen kommen.
Abg. Fritzen (Z.) wünscht die Pläne fürs nächste Jahr zu erfahren und
zweifelt an der Bereitwilligkeit des Reichstags, Erhebliches zu bewilligen.
Preuß. Kriegsmin. v. Einem will in der Budgetkommission Mitteilungen
über eine Vorlage des nächsten Jahres machen.
23./26. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Erste
Beratung des Etats. — Reichsfinanzreform, Thesaurierung, Wahl-
reform, Kanalfrage, Polenpolitik, Nationalliberale und Konservative.
Abg. Limburg-Stirum (kons.) ist befriedigt von dem Bilde des
Etats, fordert aber andere Regelung der Beziehungen zum Reiche, damit
eine sichere Finanzierung der Einzelstaaten möglich werde. Er wünsche
engeren Zusammenschluß der Parteien gegen die politische Verhetzung und
erhoffe von dem Crimmitschauer Streik die Schaffung eines deutschen Ar-
beitgeber-Verbandes und ein Einschreiten der Staatsanwaltschaft gegen die
Ausschreitungen. Abg. Richter (fr. Vp.) tadelt, daß der Finanzminister
erst jetzt den Ueberschuß von 1902 bekanntgebe, obgleich er ihn bereits im
Juni gekannt habe. Der preußische Staat treibe fehlerhafte Thesaurierungs-