Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

206 FNule üferriichisch-ung#rische Monarchie. (Dezember 10.—27.) 
Das offiziöse „Fremdenblatt“ bemerkt hierzu: „Es wird an Ver- 
suchen nicht fehlen, die Regierung für das Scheitern der Notstandsvorlage 
(die mit der Refundierungsforderung verbunden war und daher mit ihr 
zugleich zu Fall gekommen ist), das Ausbleiben von Hilfe verantwortlich 
zu machen. Um der Bevölkerung die Abwehr jedweden Entstellungsver- 
suches zu erleichtern, sei darauf hingewiesen, daß die Regierung mit den 
Notstandssummen für alle produzierenden Kreise stets freigebig umgegangen 
ist. In den letzten Jahren wurden 51 Millionen für Notstandszwecke den 
Kassenbeständen entnommen, trotzdem die Regierung auch mit der Bewilli- 
gung von Mitteln für anderweitige wirtschaftliche Zwecke nicht zurückhielt. 
Hartherzig war die Regierung nicht, solange sie über Mittel disponieren 
konnte. Daher ist nicht anzunehmen, daß sie für 1904 plötzlich ihr humanes 
Empfinden eingebüßt haben sollte. Die Regierung hatte die eingestellten 
15½ Millionen frohen Herzens unter die Notleidenden verteilt, wenn 
ihr durch den Beschluß des Budgetausschusses diese Möglichkeit nicht ab- 
geschnitten worden wäre. Die betroffenen Kreise werden demnach aus 
eigener Erfahrung am besten entscheiden können, wo die Schuld liegt. Sie 
werden die Schuld beim Parlament suchen und leider auch beim Parla- 
ment finden.“ 
10. Dezember. (Ungarn.) Unter Führung des früheren 
Ministerpräsidenten Wekerle bildet sich ein mitteleuropäischer Wirt- 
schaftsverein, der einen Zusammenschluß der mitteleuropäischen 
Staaten erstrebt. 
12. Dezember. (Ungarn.) Abgeordnetenhaus. Ausschrei- 
tungen der Opposition. 
Die Mitglieder der Opposition erscheinen vor dem Beginn der 
Sitzung, zertrümmern die Präsidentenestrade, die Ministerbank und die Pulte, 
zerreißen die Gesetzbücher und treiben die Parlamentsdiener, die sie hindern 
wollen, hinaus. Mehrere von den Dienern werden blutig geschlagen. Die 
Sitzung kann nicht stattfinden. — Die Opposition will den Rücktritt des 
Präsidenten Perczel und die Zurücknahme der neuen Hausordnung er- 
zwingen. — Ministerpräsident Graf Tisza erklärt im Liberalen Klub, 
diese strafbaren Handlungen würden dem Gericht übergeben werden. Wenn 
die Sitzungen dauernd verhindert würden, würde ein Appell an die Nation 
erfolgen. 
14. Dezember. Das ungarische Abgeordnetenhaus tritt 
ohne Zwischenfall zusammen, da Abg. Perczel nicht präfddiert. 
16. Dezember. (Ungarn.) Im Abgeordnetenhause fordert 
Ministerpräsident Graf Tisza eine kurzfristige Indemnität zur Ver- 
meidung des budgetlosen Zustandes, um die Wahlen vornehmen 
zu können. Die Opposition verweigert sie, Tisza erklärt, trotzdem 
das Haus auflösen zu wollen. 
27. Dezember. (Cisleithanien.) Ministerpräsident v. Körber 
reicht seine Demission ein. Nachdem der Kaiser erfolglos mit Graf 
Schönborn und Graf Boucquoy unterhandelt hat, übernimmt Frhr. 
Gautsch v. Frankenthurm die Kabinettsbildung (31. Dezember).
	        
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