Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Greßbritannien. (Oktober.) 233 
Ultimatum eine eklatante Genugtuung gefordert werde. Die balltische 
Flotte bedeute bei ihrer unfähigen Führung eine Gefahr für alle handel- 
treibenden Nationen und müsse zurückgerufen werden; die schuldigen Offi= 
ziere müßten bestraft werden. Mehrere Tage wiederholen alle größeren 
Blätter, daß ein Krieg schwer zu vermeiden sei. 
Die Regierung läßt in den Häfen kriegerische Vorbereitungen treffen 
und erläßt einen vorläufigen Befehl zur gegenseitigen Unterstützung und 
zum Zusammenwirken im Kanal an das Mittelmeer--Geschwader, sowie an 
die Flotte der heimischen Gewässer, das Geschwader des westlichen Stillen 
Ozeans soll sich bei Esquimoult sammeln. — Am 28. Oktober erklärt 
Ministerpräsident Balfour in einer Rede in Southampton: „Die russische 
Flotte befand sich 30 Meilen außerhalb der Route, die sie hätte verfolgen 
müssen. Es ist absurd, anzunehmen, daß der Kommandant der angeblichen 
Torpedoboote zum Angriff auf die Russen eine Stellung inmitten der 
Fischerflottille gewählt haben sollte. Nein, es war kein japanisches Schiff 
da; das nächste war 14000 Seemeilen von jener Stätte entfernt. Man 
kann sich keinen Augenblick denken, daß längs der ganzen Handelsstraße 
von St. Petersburg nach Wladiwostok der Admiral einer anderen Macht 
nach solchen Ereignissen sollte vorbeifahren können, ohne gestellt, ohne inter- 
pelliert, ohne bestraft zu werden. Ist das eine Situation, die ein neu- 
trales Land wie England ertragen könnte? Der Handel der zivilisierten 
Länder muß seinen Fortgang nehmen, ohne daß ihm Hindernisse in den 
Weg gelegt werden. Die von dem russischen Admiral erzählte Geschichte 
ist reines Phantasiegebilde; das wird sich klar wie der Tag aus der Unter- 
suchung ergeben, zu der Kaiser Nikolaus bereitwilligst seine Zustimmung 
gegeben hat. Die russische Regierung hat sich keinen Augenblick den Ernst 
der Krisis verhehlt, und sie hat getan, was sie tun konnte, um die Krisis 
abzuschwächen. Aber die russische Diplomatie ist langsam in ihren Be- 
wegungen. Ich glaube sagen zu können, daß Schwierigkeiten bestanden 
haben, die aber nun überwunden sind. Der Krieg wird ohne Unehre für 
uns vermieden werden. Zwei verschiedene Darstellungen sind über den 
Vorfall gegeben worden, und es hat sich ergeben, daß die Angelegenheit 
einer unparteiischen internationalen Untersuchung unterzogen werden soll. 
Ich hoffe, daß die russischen Vertreter bei dieser Untersuchung zugegen sein 
werden. Wir haben unsere Pflichten als Neutrale peinlich erfüllt. Die 
Idee, daß die Fischerflotte sich auf Feindseligkeiten eingelassen oder daß 
ein Angriff durch Torpedoboote stattgefunden habe, kann nur mit Lächeln 
aufgenommen werden.“ Niemals habe jemand an die Möglichkeit eines 
solchen tragischen Ereignisses gedacht, sonst wäre ja eine kriegführende Flotte 
eine Geißel, gegen welche sich die Neutralen verbünden müßten, und man 
müßte auf jede Flotte, die ihre Pflichten so auffaßte wie der russische Ad- 
miral Jagd machen und sie vernichten. Er freue sich, daß auch die russische 
Regierung diese Auffassung der Sachlage teile. Rußland sprach, sobald es 
von der Angelegenheit erfuhr, sofort sein tiefes Bedauern aus. Kaiser 
Nikolaus telegraphierte in diesem Sinne an König Eduard. Die russische 
Regierung versprach auch reichlichste Entschädigungen. Sie hat ferner an- 
geordnet, daß der an der Affäre beteiligte Teil des baltischen Geschwaders 
in Vigo zurückgehalten werde, und daß die verantwortlichen Offiziere sowie 
diejenigen, die Zeugen der Vorgänge gewesen sind, nicht nach Ostasien gehen 
sollen. Eine Untersuchung wird vorgenommen. Die russische, sowie die 
englische Regierung sind übereingekommen, einer internationalen Kommission, 
wie sie von der Haager Konvention vorgesehen ist, die Aufgabe anzuver- 
trauen, die Tatsachen festzustellen. Alle Personen, die dieses Tribunal für 
schuldig finden wird, werden verurteilt und angemessen bestraft werden. 
 
	        
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