Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

234 Greßjbritannien. (November Anfang. 9.) 
Die russische Regierung hat bei der Affäre bewiesen, daß sie wünscht, daß 
Wahrheit und Gerechtigkeit obwalten sollen. England habe nichts ver- 
langt, als was es selbst an Rußlands Stelle gern bewilligt haben würde; 
es habe kein Verlangen gezeigt, das, was man für Rußland Verlegenheit 
nennen könne, auszunutzen, um die Erfüllung seiner Forderungen zu er- 
zwingen. Es habe einfach an die Prinzipien appelliert, durch welche die 
guten Beziehungen dieser Nationen geleitet werden müßten, und es habe 
nicht vergeblich appelliert. Daß keine diplomatische Verzögerung oder etwas 
Schlimmeres eingetreten sei, sei, wie er hoffe, zum Teil der Gerechtigkeit 
und Mäßigung der englischen Forderungen und zum Teil der Weisheit 
des Zaren zuzuschreiben. 
Die Beilegung des Streitfalles (s. Rußland) wird von mehreren 
Blättern, z. B. der „Morning Post“ und dem „Standard“, kritisiert: „Den 
Streit unter solchen Bedingungen zu vermeiden, war sicherlich von Anfang 
an nicht schwierig; es hätte dies erreicht werden können, ohne die furcht- 
baren Kundgebungen, die jetzt etwas lächerlich erscheinen.“ („Standard“.) 
Anfang November. Der Besitzer des „Daily Expreß“ kauft 
die „St. James Gazette“ und den „Standard“ an. Der Besitz- 
wechsel bedeutet einen Verlust für die Freihändler. 
9. November. (London.) Beim Lordmayorsbankett führt 
Lord Lansdowne über die auswärtige Lage aus: 
In den letzten Tagen standen wir vor einem Zwischenfall, welcher 
das Volk dieses Landes in einer Weise erregt hat, wie wenige andere 
Zwischenfälle es getan haben. Am 24. Oktober wurde in der Nordsee ein 
Angriff gemacht auf britische Bürger. Ein Schimpf wurde der britischen 
Flagge zugefügt. Es ist nicht in Frage gekommen, daß dies beabsichtigt 
gewesen wäre; wenn es beabsichtigt gewesen wäre, so wollen wir lieber die 
Folgen nicht erwägen. Es war ein beklagenswerter unerwarteter Mißgriff. 
Wir müssen hinzufügen, wir haben jüngst in befriedigender Weise den Be- 
weis erhalten, daß die russische Regierung im guten Glauben annahm, die 
Tatsachen wären ganz anders, als wir ftn vermuteten. Jede der beiden 
Parteien ist von der Gerechtigkeit ihrer eigenen Sache überzeugt. Wir 
haben den Weg eingeschlagen, der allein für uns offen war, und haben 
zugestimmt, die Angelegenheit dem unabhängigen, unparteiischen Tribunal 
der denkwürdigen höchst nützlichen Haager Konvention zu überlassen. Wir 
sind ohne Schwierigkeit zur Regelung der prinzipiellen Frage sowie zu der 
Ansicht gekommen, daß die Bedingungen der Ueberweisung der Sache an 
eine Kommission solche seien, die wir annehmen könnten; die Kommission 
wird den Vorfall nach allen Richtungen hin untersuchen, einschließlich der 
Verantwortlichkeit und des Grades von Tadel, der diejenigen trifft, welche 
als die Verantwortlichen befunden werden. Eine Anzahl russischer Offi- 
ziere wurde in Vigo zurückbehalten. Man hat seine Ueberraschung über 
die geringe Zahl der Offiziere ausgedrückt. Es war nicht unsere Sache, 
die Verantwortung für die Auswahl der Offiziere zu übernehmen; auch 
wäre es ein großer Fehler, Rußland von dieser Verantwortung zu be- 
freien. Wir haben in den allerletzten Tagen die bestimmte Verficherung 
erhalten, daß die zurückbehaltenen Offiziere diejenigen sind, welche zweifel- 
los bei dem Vorfall in Betracht kommen, und daß, wenn die Untersuchung 
ergeben sollte, daß andere Offiziere schuldig seien, diese ebenfalls angemessen 
bestraft werden. Wenn ich dieses alles zusammenfasse, frage ich, ob es der 
Regierung Sr. Majestät möglich gewesen sein sollte, mehr zu erreichen, als 
sie erreicht hat. Keine streitende Partei hat jemals mehr Vertrauen in die
	        
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