244 frankreich. (April Ende — Mai 17.)
Ende April. Die Romreise Loubets wird von der republi-
kanischen Presse sympathisch besprochen; die nationalistische und
klerikale kritisiert den kühlen Ton der Trinksprüche. (Vgl. Italien.)
1.8. Mai. Gemeinderatswahlen.
Das Ministerium des Innern macht darüber bekannt: Vor den letzten
Wahlen gab es in den 379 Departements und Kreishauptstädten 230 Mini-
sterielle und 131 Antiministerielle sowie 18 Gemeinderäte ohne ausgesprochene
Richtung. Nach zwei Wahlgängen wurden jetzt gezählt: 260 Ministerielle,
102 Antiministerielle und 17 ohne besondere Parteizugehörigkeit.
6. Mai. Minister des Auswärtigen Delcafsé beauftragt den
franzöfischen Botschafter beim päpstlichen Stuhl, Nisard, dem Staats-
sekretär Merry de Val mitzuteilen, daß Frankreich den päpstlichen
Protest gegen die Reise des Präfidenten Loubet nach Rom als
nichtig und nicht erfolgt anfieht.
Mitte Mai. (Marseille.) Schluß eines Streiks der Offi-
ziere der Handelsmarine (val. Übersicht).
17. Mai. Die „Humanité“, das Organ des sozialistischen
Abgeordneten Jaures veröffentlicht folgende Protestnote des Papstes
an die katholischen Regierungen:
„Aus den Gemächern des Vatikans. 28. April 1904. Die offizielle
Reise des Herrn Loubet, Präsidenten der französischen Republik, der nach
Rom kam, um Viktor Emanuel III. zu besuchen, war ein so ausnehmend
ernstes Ereignis, daß der Heilige Stuhl es nicht vorbeigehen lassen darf,
ohne die Aufmerksamkeit der Regierung, welche Ew. Exzellenz vertritt,
darauf zu lenken. Es braucht kaum daran erinnert zu werden, daß die
katholischen Staatsoberhäupter, welche durch besondere Bande an den
obersten Kirchenhirten geknüpft sind, die Pflicht haben, Ihm gegenüber,
was Seine Würde, Seine Unabhängigkeit und Seine unveräußerlichen
Rechte betrifft, größere Rücksichten zu üben als die Monarchen nicht katho-
lischer Staaten. Diese Pflicht, die bisher den schwerwiegenden Gründen
der Politik, der Allianz oder Verwandtschaft zum Trotz anerkannt und
beobachtet wurde, lag dem obersten Würdenträger der französischen Re-
publik um so mehr ob, als er einer Nation vorsteht, welche durch die
innigsten überlieferten Beziehungen mit dem Papsttum verbunden ist, dank
einem Uebereinkommen mit dem Heiligen Stuhle besondere Vorrechte ge-
nießt, im heiligen Kollegium der Kardinäle und folglich in der Verwaltung
der katholischen Kirche eine starke Vertretung hat und durch besondere
Gunst im Besitze des Protektorates über die katholischen Interessen im
Orient ist. Bedeutet es schon eine schwere Beleidigung des obersten Kirchen-
fürsten, wenn irgend ein katholisches Staatsoberhaupt nach Rom kommt,
um hier, an der Stätte des päpstlichen Stuhls und in dem apostolischen
Palaste selbst, dem zu huldigen, der wider alles Recht seine weltliche Herr-
schaft an sich gerissen hat, seine Freiheit und seine Unabhängigkeit hemmt,
so ist diese Beleidigung um so größer von seiten des Herrn Loubet. Daß
der päpstliche Nuntius dessen ungeachtet in Paris geblieben ist, muß be-
sonders ernsten Gründen und Umständen zugeschrieben werden. Die Er-
klärung, welche Herr Delcassé im französischen Parlament abgab, vermag
an dem Charakter und an der Tragweite der Beleidigung nichts zu ändern.