86 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 11./16.)
von Grundbesitz an Bedingungen gebunden Ich gebe zu, daß es
nicht zulässig ist, den Polen, weil er Pole ist, vom Recht der Ansiedlung
auszufchließen. Das will und tut das Gesetz auch nicht, sondern es sagt
nur, wenn der Ansiedlungslustige an die Ansiedlung herangeht mit dem
Ziele der Polonisierung, kann ihm die Ansiedlung verweigert werden.
Nun besteht durchaus kein Zweifel darüber, daß das Gesetz sich gegen die
Polen wendet, denn Polen werden es in der Mehrzahl sein, die poloni-
sierenden Bestrebungen huldigen. Es gibt auch Deutsche und Preußen, die
das tun — selbstverständlich nicht hier im Hause (Heiterkeit). Anderseits
gibt es auch recht viele patriotisch, preußisch gesinnte Polen, und nach
meiner festen Ueberzeugung wird solchen Polen die Ansiedlung nirgendwo
versagt werden. (Lachen bei den Polen.)
Die Vorlage wird an eine Kommission verwiesen.
11./16. Mai. (Preußisches Herrenhaus.) Dritte Beratung
des Etats. Handelsverträge; Ausnahmegesetze; Sozialdemokratie
und bürgerliche Parteien.
Frhr. v. Manteuffel fordert Kündigung der Handelsverträge und
Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie. Graf Mirbach: Es bestehe
eine Reichsverdrossenheit, die hervorgerufen sei durch die Taktik der Sozial-
demokraten, den bürgerlichen Parteien die Teilnahme am öffentlichen Leben
durch gehässige Agitation zu verleiden. Dagegen könne nur die Aenderung
des Reichstagswahlrechts, etwa die Beseitigung der geheimen Abstimmung,
helfen. Die Bekämpfung der Sozialdemokratie durch Reformen habe der
Regierung keinen Dank eingebracht; eine Bekämpfung durch Zusammen-
schluß der bürgerlichen Parteien sei ein Traum, hätten doch Freisinnige
in der letzten Landtagswahl unter Teilnahme einiger Berliner Professoren
ein Bündnis mit den Sozialdemokraten empfohlen. Ministerpräsident Graf
Bülow: Die Behauptung, daß Reichsverdrossenheit existiere, sei schon zur
Zeit Bismarcks aufgestellt worden; allgemeine Zufriedenheit habe nie in
Deutschland geherrscht. Diese Neigung zur Kritik an allem habe viele zu
Sozialdemokraten gemacht, und in dieser Kritik hätten alle Parteien ge-
sündigt; an der Uneinigkeit der bürgerlichen Parteien trügen auch die Kon-
servativen Schuld.
13. Mai. Professor Schmoller: Das Programm Manteuffels und
Mirbachs, die Sozialdemokratie durch Ausnahmegesetze zu bekämpfen, sei
unmöglich, denn es gäbe keine Mehrheit dafür. Die Sozialdemokratie ist
allerdings eine große Gefahr, aber sie ist nur eine Teilerscheinung der
heutigen Hebung der anderen Klassen. Wir haben eine technische und wirt-
schaftliche Revolution gesehen, wie sie die Menschheit in Jahrtausenden
nicht erlebt hat, und die Reibung ist daher nicht wunderbar. Bei uns ist
aber das Beklagenswerte, daß die Arbeiter unter die Herrschaft von Leuten
gekommen sind, die die bestehende Staatsordnung bekämpfen. Das ist das
Traurige für Deutschland. Das Gefährliche ist die politische Theorie, die
sich daran knüpft, der Gedanke der Volkssouveränität. Aber das ist noch
nicht die größte Gefahr. Die größte Gefahr ist, daß die Führer der Sozial-
demokratie unter die Herrschaft eines Mannes gekommen sind, der als
Privatmann rein dastand und ein großer Gelehrter war, der aber die
Gehässigkeit in die arbeitenden Klassen Deutschlands hineingetragen hat;
der den Gedanken hineingetragen hat: die bestehende Ordnung ist nur eine
Kampfordnung. Aber solche geistigen Imponderabilien heilt man nicht
mit der Polizei — die Heilung in der Gefühlswelt zwischen den Klassen
ist nur herbeizuführen durch eine gerechte Regierung, nie durch ein Klassen-