Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 24./31.) 13
Wird in einem Brauereibetrieb während des Rechnungsjahrs der
der Steuerberechnung zugrunde gelegte durchschnittliche Verbrauch über-
schritten, so unterliegt der Mehrverbrauch den nach der vorliegenden Skala
zutreffenden höheren Steuersätzen.
Hiernach zahlen 4408 Brauereien der norddeutschen Steuergemein-
schaft (zwei Drittel aller Betriebe) den bisherigen Steuersatz von 4 Mark.
24./31. Januar. (Reichstag.) Erste Beratung des Toleranz-
antrags. (Vgl. 1905 S. 35.) Bürgerliche und religiöse Toleranz.
Haltung der Regierung.
Abg. Bachem (Z.) tadelt, daß der Bundesrat zu der im Jahre 1902
erfolgten Annahme des ersten Teils des Antrags noch keine Stellung ge-
nommen habe. Die damals gerügten Ungerechtigkeiten gegen die Katho-
liken in der Gesetzgebung von Mecklenburg und Braunschweig seien zwar
gemildert aber nicht abgestellt worden. Es handle sich hier nicht um dog-
matische Toleranz, die die katholische Kirche nicht gewähren könne, sondern
um staatsbürgerliche Toleranz, um Gleichheit der Konfessionen vor dem
Gesetz. Die katholische Mehrheit in Bayern z. B. habe der evangelischen
Minderheit Rechtsgleichheit eingeräumt. „Es ist sogar der schwarze Vor-
wurf erhoben worden, mit Annahme des Antrages würde die Ketzerver-
brennung des Mittelalters wiederkehren. (Heiterkeit.) Ich glaube, in diesem
Hause ist niemand, der im Ernste solche Befürchtungen hegt. (Heiterkeit.)
keiner von uns denkt daran, daß es jemals auf katholischer Seite zur
Ketzerverbrennung kommen würde. Uebrigens war das Ketzerverbrennen
an sich keine Einrichtung der katholischen Kirche, es war eine Einrichtung
des Staates, und wenn auch Staat und Kirche damals noch so eng mit-
einander verquickt sein mögen, so bleibt es doch wahr, daß der Tod für
Ketzerei lediglich auf Grund von staatlichen Gesetzen verhängt worden ist.
Diese staatliche Gesetzgebung ist verschwunden, und wie die Kirche sie nicht
geschaffen hat, so denkt sie auch nicht daran, sie wieder ins Leben zu rufen.“
Uebrigens seien auch durch protestantische Glaubensgerichte viele Ketzer zum
Feuertode verurteilt worden. Abg. Dr. David (Soz.) verlangt Kommissions-
beratung, um die aus dem Antrag drohende Gefahr, daß Dissidentenkinder
wangsweise einem Religionsunterricht zugeführt werden könnten, zu be-
seitigen. Die Unterscheidung der bürgerlichen und religiösen Toleranz sei
nicht überzeugend; in der Umsturzvorlage z. B. habe das Zentrum be-
antragt, die Leugner des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele
zu bestrafen.
Staatssekretär Graf v. Posadowsky: Es ist an die verbündeten
Regierungen die Anfrage gerichtet worden, warum in der letzten Nach-
weisung über die Beschlüsse des Bundesrats keine Erklärung der verbün-
deten Regierungen enthalten ist, was aus dem Antrage vom 21. Juni 1902,
dem sogenannten Toleranzantrag, geworden ist. Ich muß gegenüber dieser
Anfrage und wegen der Erörterungen, die sich an diese Tatsache geknüpft
haben, eine Erklärung abgeben. Bekanntlich wurde der erste Toleranz-
antrag im Jahre 1900 eingebracht. Dieser Antrag enthielt zwei Abschnitte,
den ersten betreffend die Religionsfreiheit der Reichsangehörigen, den
zweiten betreffend die Religionsfreiheit der einzelnen Religionsgemein-
schaften. Dieser Antrag wurde damals nach Erörterung im Hause einer
Kommission von 28 Mitgliedern überwiesen. Da jedoch der zweite Ab-
schnitt, die §§ 5 bis 10, in der Kommission lebhaften Widerspruch fanden,
so wurde dieser zweite Abschnitt zurückgezogen, dagegen der erste Abschnitt,
der in der Kommission auf acht Paragraphen erweitert war, von der
Kommission angenommen. Er fand dann auch bei der Abstimmung im