Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

68 Va Vernische Reich und seine einzelnen Glieder. (März 23.) 
Welsersheimb als Grundlage für weitere Verhandlungen günstig auf- 
genommen wurde und daß Schritte unternommen worden seien, Frank- 
reich zu dem gleichen Entgegenkommen zu veranlassen. Auch ist uns 
nichts davon bekannt, daß der deutschen Delegation in Algeciras die am 
Schlusse der Depesche behauptete Mitteilung zugekommen sei. Auffällig ist 
aber auch so sowohl der Inhalt der russischen Instruktion, als die Tatsache 
ihrer Veröffentlichung im „Temps“. Nach der vom „Temps in den letzten 
Wochen geführten Sprache, die nur dazu beitragen konnte, den Gang der Ver- 
handlungen in Algeciras zu stören, kann der Zweck auch dieser letzten Ver- 
öffentlichung nur sein, einer Verständigung weitere Hindernisse in den Weg 
zu legen. Die deutsche Politik wird sich dadurch nicht abhalten lassen, auf dem 
sicheren Boden des internationalen Rechts nach den von ihr von Anfang ge- 
zogenen grundsätzlichen Linien die deutschen Interessen und Rechte zu wahren." 
März. Protest gegen die preußische Volksschulvorlage. 
27 Hochschullehrer preußischer und außerpreußischer Universitäten 
erlassen einen Aufruf gegen die preußische Volksschulvorlage. Der Ein- 
spruch richtet sich gegen die die konfessionellen Verhältnisse der Volksschulen 
betreffenden Bestimmungen der Vorlage und will gegenüber der trennenden 
Tendenz des religiösen Sonderbekenntnisses die Einheit der humanen und 
nationalen Bildung gewahrt wissen. In dieser Tendenz auf die Kon- 
fessionalisierung der Volksschule, ohne Rücksicht auf die Wünsche und die 
finanzielle Leistungskraft der Bevölkerung wie auf die Qualität der Schulen, 
sei die jetzige Vorlage völlig eins mit der des Jahres 1892. Der von 
der Vorlage fixierte religiöse Partikularismus werde zur Verschärfung des 
religiösen Gegensatzes, des Krebsschadens der Nation seit Jahrhunderten, 
beitragen. — Der Protest, der in Gelehrtenkreisen verhältnismäßig wenig 
Unterschriften findet, wird in der liberalen Presse lebhaft gefeiert und viel- 
fach als die Anschauung der Universitätskreise wiedergebend betrachtet. Die 
„Preußischen Jahrbücher“ bekämpfen den Protest scharf; er vertrete nicht 
die Anschauungen der Hochschullehrer, denn die meisten und angesehensten 
hätten ihn nicht unterzeichnet; er überschätze den Wert der Simultanschule 
und vor allem habe er ganz falsche Vorstellungen von der Bedeutung des 
Protestantismus für unser nationales Leben. 
23. März. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Wahl- 
vorlage. Begründung Bethmann-Hollwegs. 
Minister des Innern v. Bethmann-Hollweg legt den Inhalt 
der Vorlagen dar und fährt dann fort: Ich habe schon in der Presse ge- 
nügend gehört, und — darüber gebe ich mich keiner Täuschung hin — 
ich werde es auch in diesem hohen Hause genügend zu hören bekommen, 
daß diese Entwürfe blutwenig bedeuten. (Lebhaftes Sehr richtig! im 
Zentrum und links.) Lassen Sie mich auch jetzt schon einiges darüber 
sagen: Ich halte mich zunächst an die konkreten Vorschläge, welche sich aus 
den Anträgen einzelner Parteien dieses hohen Hauses vom Jahre 1904 
ergeben haben. Es waren Vorschläge einmal auf eine grundsätzliche Neu- 
einteilung aller Wahlkreise, und zweitens der Vorschlag, zu dem Zustande 
von 1893 zurückzukehren, die bestehende Drittelung der Steuerbeträge durch 
eine Zwölftelung zu ersetzen. Die generelle Neueinteilung der Wahlkreise 
hat in den letzten Jahrzehnten das hohe Haus wiederholt beschäftigt. Auch 
innerhalb des Hauses sind dabei die entgegengesetzten Standpunkte vertreten 
worden, von denen der eine eine Einteilung der Wahlbezirke nach der 
Bevölkerungszahl, eventuell nach der Steuerkraft, vornehmen will, der 
andere aber in Rücksicht auf die historische Entwickelung von einer gene-
	        
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