Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 15./16.) 149
Wunsch ein Jahr im Ministerium des Innern beschäftigt, um die
Zivilverwaltung kennen zu lernen.
15. Oktober. (Preußen.) Der Landwirtschaftsminister berät
mit Vertretern von Landschaften und Kreditorganisationen über
Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes.
15./16. Oktober. (Bayerische Abgeordnetenkammer.)
Reichsfinanzen und Einzelstaaten.
Abg. Speck (Z.): Die Matrikularbeiträge hätten bereits das Maß
des Erträglichen überschritten. Die Hoffnung des Finanzministers, die ge-
stundeten Matrikularbeiträge nicht zahlen zu müssen, sei trügerisch. Das
Reichsbudget für 1907 sei erheblich vorausbelastet. Dazu kämen neue
Forderungen für Flotte und Kolonien. Das Zentrum sei im Reiche
bereit, zu bewilligen, was die Erhaltung der Wehrkraft fordere, aber
manche Forderung könnte zurückgestellt werden. Das Fallen der Reichs-
und Staatsanleihen müßte die Reichsfinanzverwaltung vorsichtig machen.
Der Geldmarkt werde durch die forwährende Inanspruchnahme durch Reich
und Einzelstaaten beunruhigt. — (16. Okt.) Finanzminister: v. Pfaff: Daß
die Finanzlage des Reiches nicht so ist, wie sie sein sollte, läßt sich nicht
bestreiten; der Grund hierfür sind aber nicht überflüssige Ausgaben, denn
solche hat das Reich nicht gemacht, sondern die Nichtbewilligung aus-
reichender Steuervermehrungen. Die Regierung muß daher aus den Ueber-
schüssen Reserven bereitstellen zur Begleichung von ungedeckten Matrikular-
beiträgen. Wir müssen dafür sorgen, daß dem Reiche neue Einnahmequellen
eröffnet werden, aber gegen eine Reichseinkommensteuer und eine Reichs-
vermögensstener hat die bayerische Regierung sich von jeher ausgesprochen,
weil sie unvereinbar ist mit dem föderativen Charakter des Reiches, und
weil sie den Einzelstaaten die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben unmöglich
machen würde.
Oktober. (Preußen.) Die Reform des Landtagswahlrechts
wird wieder lebhaft diskutiert. Die Liberalen plädieren für schleu-
nige Einführung der geheimen Stimmabgabe.
Mitte Oktober. (Preußen.) Die polnische Presse greift den
Bischof Rosentreter von Kulm heftig an wegen angeblicher Ver-
nachlässigung der Polen. So schreibt die „Gazeta Gdanska“:
Kürzlich ist mir ein Schmutzblatt, das Organ des Bischofs Rosen-
treter, die „Westpreußischen Nachrichten“, mit dem ich sonst meine Hände
nicht beschmutze, ganz wider meinen Willen in die Hände gefallen. In
diesem Blatte finden sich solch wütende Angriffe gegen die polnischen Geist-
lichen, daß diese nicht anders beantwortet werden können, als dem Autor
kräftig hinter die Ohren zu hauen, was auch der Redaktion gebühren
würde.
Mitte Oktober. Nach Zeitungsnachrichten beabsichtigt die
Reichsregierung dem Reichstag ein Branntweinmonopol vorzu-
schlagen, wodurch 70 Millionen jährlich einkommen sollen.
16. Oktober. (Berlin.) Zwei Abgesandten des marokkani-
schen Prätendenten Muley Hafid wird im Auswärtigen Amt der
Empfang verweigert.