Das Deutsche KReich und seine einfelven Glieder. (Januar Ende.) 17
auszugleichen. Das Zentrum kann unter der Parole Wahlenthaltung der
Sozialdemokratie in einer Reihe von Wahlkreisen zu Mandaten verhelfen.
Tausende und Abertausende haben ihr Wahlrecht nicht ausgeübt. Nützt die
letzten Tage zu eifriger Arbeit! Bietet alles auf, die Säumigen zur Wahl-
urne zu bringen! Noch ist eine nationale Mehrheit nicht gesichert. In
90 Stichwahlen ist die Sozialdemokratie, in 32 das Zentrum beteiligt.
Die Gefahr, daß Zentrum und Sozialdemokratie die Nehrheit behalten,
ist keineswegs beseitigt. Auf zur letzten nationalen Arbeit! Tue jeder
liberale Wähler seine Schuldigkeit, um der Sache des Vaterlandes zum Siege
zu verhelfen.
Freisinnige Vereinigung: Die Hauptwahlen haben eine sichere
Mehrheit für die Bewilligung nationaler Forderungen ergeben, dagegen
erscheint jetzt die Gefahr der Bedrohung bedeutsamer liberaler Errungen-
schaften (Reichstagswahlrecht, Koalitionsrecht, Gleichberechtigung aller
Staatsbürger), für deren Aufrechterhaltung und Ausbau wir stets ein-
getreten sind, wesentlich nähergerückt. Wir fordern daher unsere Partei-
freunde im Lande auf, nur solchen Kandidaten in der Stichwahl ihre
Stimme zu geben, die durch Programm und Persönlichkeit eine sichere
Gewähr dafür bieten, daß sie nicht der politischen und geistigen Reaktion
Hilfsdienste leisten.
Diese Parole wird vielfach nicht anerkannt, so schreibt die „Weser-
Zeitung“: „Die Niederlage der Sozialdemokratie muß bei den Stichwahlen
vervollständigt werden. So wenig das Zentrum mit den Sozialdemokraten
gehen kann, so wenig können wir Liberalen es. Ein ungeheurer, gar nicht
wieder gut zu machender Fehler würde es sein, wenn wir Freisinnigen
uns von der großen Woge des entrüsteten Bürgertums ausschließen wollten.
Nirgends darf eine freisinnige Stimme für einen sozialdemokratischen
Kandidaten abgegeben werden. Man wird im Zwang der Stichwahl sogar
manche bürgerliche Elemente unterstützen müssen, gegen die man einen tiefen
Widerwillen empfindet. Hat man solchen Widerwillen gegen die Sozial-
demokratie etwa nicht? Deren Besiegung ist augenblicklich die Aufgabe
eines gleichsam heroischen Augenblicks. Und wer sich davon ausschließt,
läuft Gefahr, völlig zu vereinsamen, etwa wie die bayerischen Zentrums-
führer bei der Kriegserklärung 1870 oder wie die Welfen.“"
Die sozialdemokratische Partei ordnet an: Unter keinen Um-
ständen dürfen Konservative, Reichspartei, Bund der Landwirte, Antisemiten
und Nationalliberale eine sozialdemokratische Stimme bei den Stichwahlen
erhalten. Für die andern Parteien empfehlen wir folgende Stellungnahme
unserer Genossen: Voraussetzung für die Unterstützung einer dieser Parteien
bei den Stichwahlen muß die Verpflichtung des Kandidaten sein, daß er 1.gegen.
jede Verschlechterung des allgemeinen gleichen geheimen und direkten Wahl-
rechts stimmen wird, 2., daß er jeden Versuch, das Koalitionsrecht einzu-
schränken, unbedingt zurückweisen wird; 3., daß er sich gegen jedes wie immer
geartete Ausnahmegesetz erklären wird. Nachdem diese Erklärungen abgegeben
sind, empfehlen wir den Kreiswahlkomitees die Entscheidung, ob ein solcher
Gegner bei der Stichwahl sozialdemokratische Unterstützung finden soll, unter
der Würdigung der Persönlichkeit des Gegners zu treffen. Unter keinen
Umständen aber darf einem Kandidaten eine sozialdemokratische Stimme
zufallen, der die aufgestellten Bedingungen nicht akzepiert.
Polen: 1. Wo das Zentrum in Stichwahl steht, gleichviel ob mit
einem Kandidaten der bürgerlichen Parteien oder einem Sozialdemokraten,
haben die Polen für den Zentrumsmann einzutreten. 2. Wo Sozial-
demokraten mit bürgerlichen Kandidaten (außer Zentrum) in Stichwahl
kommen, treten die Polen geschlossen für den Sozialdemokraten ein. 3. Wo
Européeischer Geschichtskalender. XLVIII. 2