284 Stalien. (Juli —5. November.)
Juli. An vielen Stellen gibt es lebhafte antiklerikale De-
monstrationen.
Oktober. Gefahr eines Eisenbahnerstreiks.
In Mailand kommt es wegen Differenzen zwischen der Gasanstalt
und ihren Arbeitern zu blutigen Zusammenstößen zwischen Polizei und
Arbeitern (11. Oktober); infolgedessen wird ein Generalstreik erklärt aber
sofort beendet (23. Oktober), als die Regierung einige Polizisten bestraft.
Da auch Eisenbahner am Generalstreik beteiligt waren, droht die General-
direktion der Staatsbahnen gegen sie vorzugehen; das führt zur Agitation
für einen Eisenbahnerstreik ganz Italiens. Die Regierung entläßt einige
Agitatoren, der Generalstreik kommt nicht zustande, weil sich die öffent-
liche Meinung, auch die sozialdemokratischen Abgeordneten, dagegen erklären.
24. Oktober. (Calabrien.) Der Ort Ferruzano wird durch
ein Erdbeben zerstört; mehrere benachbarte Orte werden beschädigt.
Gegen 300 Personen werden getötet, gegen 1000 verletzt.
Ende Oktober. In Oberitalien richtet Hochwasser großen
Schaden an.
5. November. (Rom.) Der Prozeß gegen den früheren
Kultusminister Nasi beginnt vor dem Senat.
Die „Germania“ berichtet über die Vorgeschichte: 1. Nasi scheidet
im November 1903 aus dem Ministerium aus, und fast unmittelbar darauf
werden allerlei vage Gerüchte über Unregelmäßigkeiten im Unterrichts-
ministerium in Umlauf gesetzt, welche zurrt vom Abgeordneten Bissolati,
einem persönlichen Gegner des Exministers in der Deputiertenkammer zur
Sprache gebracht werden. Nasi selbst verlangt eine Untersuchung. 2. Der
Abgeordnete Saporito wird als Mitglied der Budgetkommission mit der
Prüfung der Rechnungen und Akten des Unterrichtsministeriums beauftragt.
Saporito, gleich Nasi aus der Provinz Trapani, war der erbittertste politische
Feind des Exministers, und sein dem letzteren sehr ungünstiger Bericht
wurde infolgedessen sehr argwöhnisch ausgenommen. 3. Am 24. März 19041
wurde, wieder auf Vorschlag des Abgeordneten Bissolati, eine parlamentarische
Untersuchungskommission eingesetzt, welche Nasi verhörte, und 4. am 5. Mai
desselben Jahres gibt die Kammer ihre Einwilligung zum gerichtlichen
Einschreiten gegen Nasi, sowie zu seiner Verhaftung. 5. Der Staatsanwalt
dehnt die Anklage auch auf Nasis ehemaligen Kabinettschef Lombardo,
sowie auf drei weitere Beamte seines Kabinetts aus, welch letztere ver-
haftet werden; Nasi und Lombardo gehen ins Ausland. Die Anklagekammer
läßt die Anklage gegen die drei Verhafteten fallen und verweist die ab-
wesenden Nasi und Lombardo vor die Geschworenen. 6. Nasi läßt gegen
diesen Beschluß Berufung beim Kassationshofe einlegen, da nach seiner
Ansicht nur der Senat als hoher Staatsgerichtshof über ihn urteilen
könne. Am 7. Juni 1906 verwirft letzterer, gegen den Antrag des Ober-
staatsanwalts, die Berufung, und am 14. Dezember desselben Jahres findet
die Verhandlung vor den Geschworenen statt. 7. Infolge einer neuen
Berufung an den Kassationshof fuspendiert das Geschworenengericht seine
Verhandlung. 8. Der Kassationshof stimmt diesmal, in Uebereinstimmung
mit dem Oberstaatsanwalt, der Berufung zu und erklärt, daß Nasi nicht
vor die bürgerlichen Gerichte gehöre. Alle vorher ergangenen gerichtlichen
Verfügungen werden aufgehoben und Nasi für frei erklärt. 9. Die Depu-
tiertenkammer beschließt am 21. Juni 1907, Nasi vor den Staatsgerichtshof