Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1907. (48)

394 Kebersicht über die polilisse Eslwickelns bes Jahres 1907. 
russische Rede hielt und deshalb von dem gerade amtierenden 
tschechischen Vizepräsidenten zur Ordnung gerufen wurde. Bei der 
offenbaren Unmöglichkeit, alle Landessprachen gleichzuberechtigen, 
kam man zu einem Kompromiß, wonach Deutsch die allein gültige 
Verhandlungssprache bleibt und Anträgen aus dem Hause in nicht- 
deutscher Sprache eine authentische deutsche übersetzung beigefügt 
werden muß (S. 206). Die Obstruktion wurde hierdurch für die 
Sommertagung vermieden und das Budgetprovisorium ordnungs- 
mäßig erledigt. — In der Herbsttagung hat dann die Regierung 
weitere Konsequenzen aus den Wahlen gezogen und das Kabinett 
„parlamentarisiert“, so daß jetzt im Ministerrat eine Mehrheit 
von Parlamentsministern den Beamtenministern gegenübersteht. 
Entsprechend den parlamentarischen Machtverhältnissen ist der Ein- 
fluß der Christlich-Sozialen hierdurch im Kabinett verstärkt worden 
(S. 219). Es ist zugleich eine Verstärkung der Richtung, die 
weitere Konzessionen an Ungarn ablehnt. 
Wenn so in Österreich die Grundlagen für eine gedeihliche 
Zukunft geschaffen wurden, so beharrte dagegen Ungarn ganz im 
alten Geleise der Nationalitätenkämpfe (vgl. hierüber besonders 
L. Korodi, Preuß. Jahrbücher Bd. 127—130). Wie in allen 
gemischtsprachigen Staaten spielte die Schulfrage eine große 
Rolle. Es ist das Ziel der herrschenden Magyaren, die Selb- 
ständigkeit der Nationalitätenschulen zu untergraben und ihnen 
zum mindesten einen weitgehenden Unterricht in magyarischer 
Sprache aufzuzwingen. So wurde im Jahre 1905 durch eine 
Verordnung bestimmt, daß die Hälfte aller für Lesen und Schreiben 
vorgesehenen Stunden dem Magyarischen gewidmet werden sollte; 
im Jahre 1907 brachte Kultusminister Apponyi, der Haupt- 
führer der Magyarisierungsbestrebungen, eine Vorlage ein, wonach 
diese Verordnung Gesetz werden soll und wonach nur diejenigen 
von Kirchengemeinden unterhaltenen Schulen die Staatssubvention 
weiterbeziehen sollen, die den staatlichen Lehrplan und die von 
der Regierung approbierten — d. h. magyarisch-chauvinistischen — 
Lehrbücher annehmen und in den höheren Klassen für alle wichtigeren 
Fächer das Magyarische als Unterrichtssprache zulassen. Gegen 
diese Vorlage erhoben sich zunächst die Rumänen, die sogleich zur
	        
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