Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1907. (48)

82 Nas Beuische Reich und seine einzelnen Slieder. (März 14./16. April.) 
habe ich eine Einheitlichkeit auf diesem Gebiete geschaffen, wie sie seit mehr 
als hundert Jahren nicht erreicht worden ist. Eine Reihe von Gesetzen, 
die die Versorgung der evangelischen und katholischen Geistlichen, die Re- 
gelung der Pensionsverhältnisse derselben betreffen, haben zur Wahrung 
des konfessionellen Friedens beitragen helfen. 1905 folgte das Gesetz, be- 
treffend die übertragbaren Krankheiten, endlich im vorigen Jahre das neue 
Volksschulunterhaltungsgesetz. Also, Sie mögen meine Tätigkeit beurteilen, 
wie Sie wollen, so müssen Sie doch anerkennen, daß ich in den sieben 
Jahren treue und erfolgreiche Arbeit geleistet habe (Beifall rechts), und 
zwar eine Arbeit, die nicht nur von den konservativen Parteien und dem 
Zentrum anerkannt wurde, sondern auch den Anschauungen eines großen 
Teiles der übrigen Parteien durchaus entsprochen hat. (Widerspruch links.) 
— Abg. v. Heydebrand (kons.) polemisiert gegen Zedlitz, dessen Ton eine 
Verständigung erschwere. — Der Antrag wird mit geringer Mehrheit durch 
Konservative, Zentrum und Polen abgelehnt. 
18. März. Abg. Cassel (fr. Vp.): Das Kultusministerium sei zu 
groß; das Medizinalwesen werde am besten abgetrennt und mit dem Mini- 
sterium des Innern verbunden. Der jetzige Kultusminister sei nicht ge- 
neigt, die konservativ-liberale Paarung, die der Reichskanzler anstrebe, zu 
befördern. Kultusminister v. Studt: Die Verbindung des Medizinal- 
wesens mit dem Innern sei schwierig, weil nicht alle Sanitätspolizeisachen, 
z. B. die Eisenbahnpolizei, dem Ministerium des Innern unterständen. 
Hierauf tadelt Abg. Friedberg (nl.) die Bevorzugung der orthodoxen 
Theologieprofessoren vor den liberalen in der Beförderung; Geh. R. Elster 
widerspricht; Abg. v. Oldenburg (kons.) verlangt, daß an allen Universi- 
täten die positive Richtung die Ueberhand habe, da der größte Teil des 
preußischen Volks positiv sei. 
19. März. Abg. v. Kardorff (freikons.) erklärt, daß seine ganze 
Fraktion die Fachaufsicht der Volksschulen wünsche. Am 20. und 21. März 
wird über die Reform des Mädchenschulwesens und über die Ostmarken- 
zulage debattiert. Eine Resolution auf Ausdehnung der Zulage auf die 
gemischtsprachigen Teile Schlesiens wird angenommen. — Hierauf vertagt 
sich das Haus bis zum 10. April. 
Vom 10. bis 16. April wird die Zulassung der Ausländer an den 
Hochschulen behandelt, die Berechtigung der Volksschullehrer an den Uni- 
versitäten zu hören, die Erteilung obligatorischen Unterrichts in der Steno- 
graphie, die Stellung der Vorschulen an höheren Lehranstalten, die Ver- 
mehrung der Reformschulen, Gehalt der Oberlehrer. Am 15. sagt Kultus- 
minister v. Studt über die Reform des höheren Mädchenschulunterrichts: 
Der Entwurf einer Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens knüpft 
an die durch die ministeriellen Bestimmungen von 1894 eingeführte Rege- 
lung an. Die bedeutsamste Aenderung wird darin bestehen, daß gegenüber 
der bisher vielfach einseitigen Betonung der ästhetischen und Gefühlsbildung 
ein größeres Gewicht auf die Verstandesbildung gelegt wird. Deshalb soll 
im deutschen und fremdsprachlichen Unterricht die bisher oft vernachlässigte 
grammatische Seite mehr betont werden als bisher, auch dem Rechen- 
unterricht sollen durch Einführung der Mathematik höhere Aufgaben zu- 
gewiesen werden. Der Mittelpunkt der Mädchen-= und Frauenbildung wird 
nach wie vor in Religion und Deutsch bestehen. Die intellektuelle Bildung 
soll in keiner Weise dazu führen, daß der große Schatz, den unser deutsches 
Volk in der Herzensreinheit und Gemütstiefe deutscher Frauen und Mädchen 
allezeit hochgehalten hat, irgendwie eine Beeinträchtigung erfahre. In der 
Organisation soll in Abweichung von den Vorschriften von 1894 die zehn- 
klassige neben der neunklassigen Schule als Normalanstalt anerkannt werden.
	        
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