Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Derisqe Reich und seine rintelnen Glieder. (Januar 20.) 25 
da Sie die einflußreichsten Stellen im Staate haben, zu verhindern. Sie 
sind königstreu bis auf die Knochen und bis auf den letzten Blutstropfen, 
aber nur so lange, wie die Wünsche und Absichten der Krone vollkommen 
mit den Wünschen und Absichten der Herren übereinstimmen. Die Herren 
können aber auch anders, das haben wir beim Kanal gesehen. Herr 
v. Levetzow hat Ihnen einmal zugerufen, daß die Konservativen doch nicht 
wegen 1,50 Mk. Zolldifferenz ihren Patriotismus preisgeben dürften. Der 
Ministerpräsident hat Sie gestern kniefällig beschworen, Sie möchten alle 
solche Kundgebungen für die Zukunft unterlassen, damit die Sozialdemo- 
kraten nicht aus ihnen ein Arsenal bekommen. Sie haben immer Ihren 
Willen der Krone und der Regierung aufgezwungen. Die Herren Landräte 
die zunächst gemaßregelt wurden und dann schnell die Treppe hinauffielen, 
wissen davon ein vergnügtes Lied zu singen. Die Herren hätten aber ihre 
jevige Machtpofition nicht in dem Umfange erlangt, wenn ihnen das 
Bürgertum machtvoll gegenübergestanden wäre. Niemals sind in der neuern 
Geschichte diese Gaben so ungleich verteilt, wie bei uns in Preußen. 
Energischen Willen zur Macht hat das Bürgertum nie besessen. Es hat 
Zeiten gegeben, wo die Herren der Rechten im Abgeordnetenhause auf ein 
Häuflein zusammengeschmolzen waren, wo die Freisinnige Partei hier die 
ausschlaggebende Stellung einnahm, aber wo sind davon die Spuren in 
der Gesetzgebung und Verwaltung zu bemerken? Unsere Stärke beruht 
auf der innern Entwickelung, die in den Dingen liegt. (Lachen rechts.) 
Finanzminister Frhr. v. Rheinbaben: Der Vorredner hat tausend 
und einen der hervorragendsten Gegenstände vorgebracht. Er ist bis zu 
den Wahlen von 1861 zurückgegangen, die Kanalvorlage, die Zollverhand- 
lungen — alles ist von ihm berührt worden. Das sind Dinge, die doch bei der 
wohlwollendsten Interpretation des Etats hier nicht das Geringste zu tun 
haben. (Lebhafte Zustimmung rechts. Unruhe bei den Sozialdemokraten.) An- 
scheinend hat den Vorredner der Wunsch geleitet, sich dem hohen Hause 
in angenehme Erinnerung zu bringen für den Fall, daß nach dem Be- 
schlusse der Wahlprüfungskommission der Vorredner auf das Vergnügen 
verzichten muß, hier im Hause zu bleiben. (Heitere Zustimmung rechts. 
Große Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Ich muß selbstverständlich ab- 
lehnen, auf alle vorgebrachten Dinge ein zugehen, die mit dem Etat nichts zu 
tun haben, vor allem auf die durch Sachkenntnis nicht getrübte Behauptung, 
daß bei uns in Preußen ein Haß gegen die Selbstverwaltung bestehe. 
Nur der Identifizierung von Arbeitern und Sozialdemokraten muß ich 
widersprechen. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Vollkommen unrichtig ist 
es, daß der Reichskanzler ein Ausnahmegesetz gegen die Arbeiter angedroht 
haben soll. Das ist dem Reichskanzler gar nicht eingefallen, sondern er 
hat nur von der eventuellen Notwendigkeit einer Verstärkung der Schutz- 
mittel gegen die Sozialdemokratie in der Zukunft gesprochen. Ich bestreite 
dem Vorredner das Recht, hier als Anwalt der arbeitenden Klassen im 
allgemeinen aufzutreten. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Die deutschen 
Arbeiter stehen nicht hinter Ihnen (zu den Sozialdemokraten), sondern 
hinter andern Parteien. 
Unsere ganze steuerliche Entwickelung in den letzten Jahr- 
zehnten ist dahin gegangen, die Lasten auf die leistungsfähigen Schultern 
zu legen und die minder leistungsfähigen Kreise zu entlasten. Wir fangen 
erst bei 900 Mk. Einkommen mit der Steuer an, ferner haben wir das 
Kinderprivileg eingeführt, das ebenfalls den arbeitenden Klassen zugute 
kommt. Bon 38 Millionen Gesamtbevölkerung sind nicht weniger als 
20 Millionen vollkommen steuerfrei. (Lebhaftes Hört, hört!) 36 Millionen 
zahlen entweder gar keine Steuern oder nur in der Steuerklasse von 900
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.